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Im Visier des Verlangens

Im Visier des Verlangens

Titel: Im Visier des Verlangens
Autoren: Courtney Milan
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hatte.
    „Ich führe ein erfülltes Leben“, erklärte sie und zählte ihre Argumente an den Fingern ab. „Ich beschäftige mich mit karitativen Aufgaben, habe einen wohlmeinenden Vater, der mich nicht in meiner Freiheit beschränkt, verfüge über ausreichende finanzielle Mittel und …“ Sie tippte gegen ihren kleinen Finger und schenkte ihm ein entwaffnendes Lächeln. „Ach ja … und mein Ehemann hält sich sechstausend Meilen von mir entfernt in China auf. Wieso, in Gottes Namen, glaubt ihr Narren also, ich könnte den Wunsch haben, mir das Leben mit einer schmutzigen Liebesaffäre zu erschweren?“
    Er stutzte, dann strich er sich versonnen das bärtige Kinn. „Wissen Sie“, sagte er ruhig, „mein Rechtsanwalt hatte recht. Ich hätte mich vorher rasieren sollen.“
    „Seien Sie versichert, eine Rasur hätte Sie auch nicht zum Ziel gebracht.“
    „Es geht nicht um den Bart.“ Er ballte die Hand zur Faust und öffnete sie wieder.
    Kate registrierte seine Verlegenheit mit grimmiger Genugtuung. Es war nicht gerade fair, alle Männer für die Verfehlungen ihres Ehemanns zur Rechenschaft zu ziehen. Aber dieser Fremde hatte die Absicht, sie zu verführen, und sie war nicht geneigt, Nachsicht mit ihm zu üben. „Habe ich Sie aus der Fassung gebracht? Sie wirken ein wenig verwirrt“, sagte sie in der Überzeugung, ihn durchschaut zu haben. „Und töricht. Tölpelhaft. Darin gleichen Sie beinahe meinem auf Abwege geratenen Ehemann.“
    „Nun ja, damit berühren Sie einen wunden Punkt.“ Er sah sie beinahe zerknirscht an. Und dann trat er einen weiteren Schritt näher.
    So nah, dass sie sehen konnte, wie sein Brustkorb sich beim Atmen hob und senkte. Er griff nach ihrer Hand. Es blieb ihr genügend Zeit, sie ihm zu entziehen. Das jedenfalls sollte sie, ließ ihn jedoch gewähren. Er nahm ihr Handgelenk zwischen Daumen und Zeigefinger, so behutsam, als greife er nach einem welken Blatt, das von einem Ast flatterte. Sein Finger legte sich an die empfindsame Stelle, wo ihr Puls klopfte. Und sie kam sich vor wie ein welkes Blatt, das in der Hitze seiner Berührung Feuer fing und verschmorte.
    Sie musste fliehen, um ihre Überlegenheit wiederzugewinnen, die ihr plötzlich abhandengekommen war. Er lächelte wieder, und in seinen Augen lag ein wehmütiger Glanz. Und plötzlich wusste sie zu ihrem Entsetzen, was er als Nächstes sagen würde. Sie wusste, warum ihr seine Augen so ungewöhnlich vertraut erschienen.
    Ja, sie kannte diesen Mann. Sie hatte sich dieses Wiedersehen in tausend verschiedenen Variationen ausgemalt. Manchmal hatte sie geschwiegen. Manchmal hatte sie ihm bittere Vorhaltungen gemacht. Und jedes Mal hatte sie ihn auf die Knie gezwungen, Entschuldigungen stammelnd, während sie hoheitsvoll auf ihn herabblickte.
    Nun aber war nichts Hoheitsvolles an ihr. In keiner ihrer Fantasien hatte sie bei dem Wiedersehen einen verschlissenen, lehmbespritzten Wollumhang getragen.
    Kate entriss ihm ihre Hand. Die Stelle, wo seine Finger sie berührt hatten, prickelte heiß.
    „Weißt du“, erklärte er trocken. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dein Ehemann bin. Und ich bin keine sechstausend Meilen mehr von dir getrennt.“

2. KAPITEL
    S echstausend Meilen. Drei Jahre. Ned Carhart hatte sich eingeredet, bei seiner Rückkehr habe sich alles verändert.
    Aber nein. Nichts hatte sich verändert – am allerwenigsten seine Gemahlin.
    Sie starrte ihn mit offenem Mund an, entgeistert, als seien ihm zwei Köpfe gewachsen. Beklommen zog sie den Umhang enger um sich, zweifellos, um sich vor seinen Blicken zu schützen. Und damit kehrte alles wieder zurück – die abscheulichen Erniedrigungen in ihrer ganzen Wucht, die seine Seele verwundet hatten.
    Ihr staubiger, lehmbespritzter Umhang verbarg ihre Rundungen. Nach all den Jahren eiserner Beherrschung machte er diese Feststellung nahezu nüchtern. Ja, er hatte gelernt, seine Gefühle zu zähmen. Seine Seelenqualen ließen ihn nicht wie einen bissigen Hund an seiner Kette zerren.
    Auf der anderen Seite war viel Zeit vergangen, um innerlich zur Ruhe zu kommen. Aber zehn Minuten in Gegenwart seiner Frau genügten, um ihn wieder aus der Fassung zu bringen.
    „Du hast mich tatsächlich nicht erkannt“, sagte er.
    Sie starrte ihn an, beklommen und stumm.
    Nein, natürlich nicht. Und ihr ungezwungener Plauderton? Den hatte sie sich für einen Fremden zurechtgelegt. Für einen Fremden, von dem sie angenommen hatte, er wolle sie verführen. Ned rieb sich den
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