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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
Autoren: Carmen Lobato
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nicht? Gibt es keine Rechtsprechung mehr?«
    »Sie ist käuflich«, sagte er. »Ein Gefallen gegen den anderen, zumindest solange kein klarer Beweis vorliegt. Mach dir keine Sorgen.«
    Sie machte sich mehr Sorgen, als sie in Worten auszusprechen oder auch nur zu denken wagte. »Schlaf jetzt endlich«, herrschte sie ihn an.
    »Nein.« Unvermittelt rührte er sich, legte die Arme um sie und zog sie zu sich herunter. »Ich will nicht, dass du ihn heiratest, Anavera. Ich will, dass du bei mir bleibst. Aber dazu habe ich kein Recht, nicht wahr?«
    »Dazu haben wir beide kein Recht.« Es war zu viel, die Kraft ging ihr aus. Erschöpfung, Verzweiflung, Furcht und der übermächtige Wunsch, ihn in die Arme zu nehmen und zu lieben, tobten ohne Unterlass in ihr. »Nein, ich werde Tomás nicht heiraten. Aber meine Schwester bekommt ein Kind von dir.«
    »Willst du das, Anavera? Dass ich deine Schwester heirate?«
    Sie hatte nichts als das gewollt. Um zu erreichen, was er ihr in dieser Nacht anbot, war sie Tausende von Meilen gefahren und hatte einen Kampf ausgestanden, an dem sie jetzt zu zerbrechen drohte. Es war das Richtige. Das Gute. Das, was sie tun mussten, um ihre Welt wieder halbwegs ins Gleichgewicht zu bringen. »Ich will dich lieben«, sagte sie. Seine Hände begannen sie zu streicheln, ihren Hals, ihre Schlüsselbeine, in weichen Kreisen bis hinab auf ihre Brüste. Als er versuchte sie zu küssen, spürte sie, wie er sich vor Schmerzen verkrampfte, und schob ihn sachte zurück. »Wir müssen vorsichtig sein«, erklärte sie. »Ich halte es nicht aus, dir noch mehr weh zu tun.«
    »Ich glaube, ich habe noch nie eine Frau vorsichtig geliebt.«
    »Das macht nichts«, erwiderte sie und küsste seine Augen. »Du kannst ja sowieso nicht lieben, nur hassen, Jaime. Lass es mich tun, ja?«
    Sie liebten sich. Sie durfte ihn nicht umarmen, und er durfte sie nicht küssen, er musste still auf seiner Seite liegen bleiben, und zu alledem durften sie kein Geräusch von sich geben. Dennoch war es alles, was sie gewollt hatte, alles, was sie brauchte, es hatte nie etwas Süßeres, etwas mit mehr Zauber in ihrem Leben gegeben. Kein junges, wildes Pferd, das sie um jeden Preis reiten wollte, kein morgendlicher Weg durch den Wald, wenn die Nebel aufrissen, keins der Feste auf El Manzanal und nicht die Liebe zu den Menschen. Nicht einmal Chichén Itzá. In dieser furchtbaren Nacht, auf dem Boden der Choza schlief sie in seinen Armen wie ein Kind. Das Tappen der Frauen, die Tortillas klopften, überhörte sie und wachte erst auf, als die Wachen Jaime zwangen, sie loszulassen.

    Sie zogen keine Striche mehr in den Boden, um die Tage zu zählen. Dass jeder Tag einer war, der ihnen fehlte, wussten sie auch so. Iacinto Camay ließ Jaime am Morgen zu irgendwelchen sinnlosen Arbeiten holen, obwohl sein misshandelter Körper dringend der Schonung bedurfte. In der Nacht aber ließ er ihn nicht mehr fesseln. »Nur damit du es weißt«, sagte er zu Anavera. »Ich lasse ihn dir, weil dieser Dzul dich krank im Kopf gemacht hat und weil es ja nun auch nichts mehr ändert. Niemand wird kommen und Geld für euch bringen. Du kannst ohne ihn gehen oder mit ihm sterben.«
    Sie beschloss, nicht darüber nachzudenken, ehe ihre Tage abgelaufen waren, ihn Nacht für Nacht zu lieben, als gäbe es keine Wahl.
    Seine Wunden brachen tagsüber auf und entzündeten sich. Sie kämpfte verzweifelt dagegen an, wusch sie aus und verband sie, so heftig er dagegen protestierte, aber es half nicht. Als sie sich in der Nacht, die von den dreißig ihre letzte sein mochte, zu ihm legte, spürte sie, wie sein Körper glühte. Erschrocken wollte sie aufspringen und Hilfe holen, doch wer würde ihnen helfen? Sie war vom Land, sie wusste, dass Menschen an solchen Entzündungen schneller starben als Fliegen, wenn erst das Fieber kam.
    Er hielt sie fest, erlaubte ihr nicht, sich von ihm zu lösen.
    »Dieser Mann, Camay, hat mit mir gesprochen«, sagte er an ihrem Ohr. »Ich will nicht, dass du stirbst, Anavera. Ich will, dass du gehst und lebst.«
    »Das ist meine Sache. Du hast Fieber, Jaime. Lass mich jetzt laufen und jemanden holen, der dir hilft.«
    Mit verschorften Lippen küsste er ihr ganzes Gesicht. »Lauf nirgendwohin. Nicht jetzt. Erst morgen. Morgen geh und kämpf dich bis nach Hause durch. Du bist ein so schmales Mädchen, und in diesem schmalen Leib von dir steckt so viel Kraft. Du kannst es schaffen, meine liebste Anavera.«
    »Glaubst du das?«, schrie sie ihn an.
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