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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
Autoren: Carmen Lobato
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ihn noch fester zu. Sandte er ihr mit geschlossenen Augen ein Lächeln? Nein, auch dafür war er jetzt zu schwach. Er war immer schwach gewesen. Blutarm wie seine Mutter hieß es, ehe sie alle begreifen mussten, dass in Veits Körper ein Leiden wütete, das tausendmal tückischer war.
    Er war ihnen so spät geboren worden. Sechs waren sie gewesen, fünf Schwestern und ein Bruder, und sie hatten nur dieses eine, kostbare Kind hervorgebracht. Valentins Tod hatte das Leben der Familie aus der Bahn geworfen. Zwei der Schwestern waren ihm ins Grab gefolgt, und das Anndl hatte den Gustl geheiratet, der sich mit Flittchen herumtrieb, statt seiner Frau ein lebensstarkes Kind zu machen. Die zwei bedauernswerten Bübchen, die sie bekam, waren innerhalb von Wochen regelrecht verkümmert und gestorben. Therese selbst hatte ihre Verlobung gelöst. Ihr Verlobter war Toni Mühlbach gewesen, Valentins Freund und Offizierskamerad, und sooft sie ihn ansah, drehte es ihr das Herz um. Als ihre Schwester Zenta den Toni an ihrer Stelle nahm, tat es ihr nicht einmal weh.
    Und diese kränkliche Zenta hatte schließlich das ersehnte Kind geboren. Einen Jungen mit ebenmäßigen Zügen, grünen Augen und goldblondem Haar. Er sah aus wie ein kleiner wiedergeborener Valentin, und mit ihm kehrten Leben und Lachen ins Haus der Familie zurück.
    Der Besitz, der Valentin hätte zufallen sollen, hatte nun wieder einen Erben. Es war kein großes, aber ein schönes, ertragreiches Stück Land, und es brachte einen Titel mit sich. Thereses Mutter hatte zwar einen Habenichts geheiratet, doch sie selbst war eine geborene von Tschiderer gewesen, und am Ende erbte sie das väterliche Gut. Ihr Sohn Valentin war sinnlos gestorben, doch ihr Enkel Veit sollte den Titel der Familie tragen.
    Wie lange waren sie wunschlos glücklich gewesen? Ein paar Monate, ein Jahr? Der kleine Veit war schwächlich, doch so, wie er gepäppelt wurde, würde er gewiss gedeihen. Als er sich am Finger verletzte und die Wunde nicht heilen wollte, machte niemand sich Sorgen. Auch nicht, als er laufen lernte und am ganzen Leib blaue Flecken davontrug. Seltsam war nur, dass die Blessuren nicht verblassten, sondern beständig dunkler und größer wurden – wie eine schwarze Wolke über ihrem Glück. Dann begannen seine Gelenke zu schwellen, und bald wimmerte er Tag und Nacht vor Schmerz. Sie ließen den Arzt kommen, der Weinsteinsäure zum Kühlen und Bittersalz zum Abführen von Giften verschrieb. Nichts davon half. Als der Arzt das nächste Mal kam, schüttelte er traurig den Kopf und sagte: »Es ist die Krankheit. Die Blutsucht. Machen Sie es dem Kleinen schön, denn er wird nicht lange leben.«
    Therese sah auf das geliebte Gesicht hinunter. »Das habe ich versucht«, presste sie heraus. »Es dir schön zu machen. Es war der Sinn meines Lebens.« Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Stirn. Sein engelsgleiches Gesicht wirkte müde – ausgezehrt vom ständigen Schmerz. Das Glas des Fensters klirrte weiter, aber Veits Atemzüge rasselten nicht mehr. Er hatte sich auf den Weg gemacht. Dort, wo er hinging, würde nichts ihn mehr quälen.
    Therese hielt seine Hand, bis die letzte Wärme daraus wich. Dann wischte sie sich das Gesicht ab. Keinen Atemzug später klopfte es so heftig, dass sie zusammenzuckte. »Herein.«
    Franziska steckte den Kopf in den Türspalt. Sie war von liederlicher Abkunft, schlecht erzogen, weshalb sie wie ein Hottentotte auf die Tür einschlug. »Ihre Schwester!«, rief sie. »Sie möcht Sie sprechen. Und der Priester soll kommen. Sie sagt, es geht ans Sterben.«
    Therese hasste sich dafür, doch das half nicht, sie war neidisch auf Zenta, und sie hatte ein Leben lang Grund dazu gehabt. Nicht sie, die sich wie eine Mutter um ihn gekümmert hatte, war Valentins Lieblingsschwester gewesen, sondern Zenta, die meist krank im Bett lag. Nicht sie, die alles dafür gegeben hätte, hatte Veit zur Welt bringen dürfen, sondern Zenta, der für ein Kind die Kraft fehlte. Und jetzt durfte nicht sie, die ihn Tag und Nacht gepflegt hatte, Veit in den Tod folgen, sondern Zenta, die ihren sterbenskranken Sohn allein gelassen hatte. Schwerfällig, als trüge sie die Last von Jahren auf den Schultern, stand Therese auf. »Schick den Hausknecht nach dem Priester«, sagte sie zu Franziska und ohrfeigte sie leise, um dem armen Toten keinen Schrecken zu versetzen. Dann ging sie hinüber zur Kammer ihrer Schwester.
    Was Zenta fehlte, hatte nie ein Arzt herausgefunden. Sie war
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