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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
Autoren: Carmen Lobato
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Pinsels zumindest tüchtig auf die Finger zu klopfen, und hatte ihn zu weiteren vier Wochen Haft verdonnert. Wer aber wusste schon, ob das der wahre Grund war? Vielleicht war es letzten Endes doch nicht so einfach, wie Jaime geglaubt hatte, einen des Mordes Verdächtigen aus einem staatlichen Gefängnis zu holen. In jedem Fall waren Tomás’ Entlassungspapiere unverzüglich ausgestellt worden, nachdem am gestrigen Abend Xaviers Telegramm aus Querétaro eingetroffen war.
    Anavera hatte Martina gebeten, ihn alleine abholen zu dürfen. War Martina die netteste Frau auf der Welt? »Ich habe mir gedacht, dass du sofort mit ihm sprechen willst«, hatte sie gesagt. »Alles andere wärst nicht du, Anaverita.«
    »Es tut mir so leid.«
    »Das weiß ich. Das wissen wir alle. Ich bin ganz unbeschreiblich traurig, mein Herz.«
    »Ich auch«, erwiderte Anavera, und sie umarmten sich.
    Martina und Felix würden mit ihren Freunden und einem großen Willkommensfest auf ihren Sohn warten. Dass Tomás nicht nach einem Fest zumute sein mochte, ließ Martina nicht gelten. »Wir können alle immer nur unser Bestes tun«, sagte sie. »Und mir ist mein Leben lang nichts Besseres eingefallen, als Fiestas zu feiern, um jemanden zu trösten.«
    Damit hatte sie recht, und vermutlich gab es schlechteren Trost als ein Haus voller Menschen, die tanzten und Korken knallen ließen, weil sie den, der zurückgekommen war, so sehr vermisst hatten.
    Der Wärter schüttelte Tomás die Hand, und Tomás verpasste ihm einen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken. Er war wie seine Mutter. Er machte sich überall, in jeder Lage Freunde. Er war der netteste Mann auf der Welt. Einmal noch winkte er dem Wärter, dann schlenderte er mit seinen weltvergessenen Schritten auf Anavera zu.
    Aus dem Pförtnerhaus trat ein weiterer Beamter und schloss das hohe Gitter auf. Anavera wollte Mut beweisen und den ersten Schritt tun, aber sie blieb stehen. Tomás blieb auch stehen. »Armadillo«, sagte er. Das Lächeln war auf seinem Gesicht noch nicht angekommen, als es schon wieder erstarb.
    »Willkommen«, murmelte Anavera. Dann zwang sie sich, durch den Spalt, den das Gitter ließ, in den Hof zu treten, und ehe sie nachdenken konnte, hatte sie ihn umarmt. »Willkommen in der Freiheit, Tomás. Ich bin so froh, dass du es hinter dir hast.«
    »Aber böse bist du auch auf mich, oder?«
    Sie schüttelte den Kopf. Vage erinnerte sie sich daran, wie enttäuscht sie gewesen war, weil er ihr wegen des Pinselgeistes nicht vertraut hatte, aber das schien eine Ewigkeit her zu sein und hatte keine Bedeutung mehr. »Es tut mir alles so leid, Tomás. Das, was du durchgemacht hast, und …«
    »Und was?« Er hob ihr Kinn und sah ihr in die Augen. Seine Augen waren hellgrau, voller Leben und schön. Du wirst nicht weinen, hatte sie sich eingeschärft. Es kam ihr unanständig vor, so, als hätte sie dazu kein Recht. »Was ist los, Armadillo? Soll ich mich etwa freuen, endlich wieder draußen in der Welt zu stehen, während du ein Gesicht machst, als wäre das ein Grund zur Staatstrauer?«
    »Es ist kein Grund zur Staatstrauer«, rief sie eilig. »Es ist ein Grund zur Freude, Tomás. Der allerschönste Grund.«
    »Und was quält meinen liebsten Armadillo dann?«
    Sag es, befahl sie sich. Sei kein Feigling. Erlaube ihm nicht, es dir leichter zu machen.
    »Ich hab dich so lieb, Tomás.«
    »Aber es reicht nicht«, beendete er ihren Satz.
    Wie konnte sie das tun? Ihn mit dieser Nachricht überfallen, nachdem er drei Monate lang im berüchtigtsten Gefängnis des Landes gesessen hatte, und sich dann noch von ihm in die Arme nehmen und trösten lassen? Seine Hand strich ihr über den Kopf, das lange Haar hinunter, das sie wie so oft vergessen hatte, ordentlich zu flechten. »Es tut mir so leid«, stammelte sie. »Ich wünschte, es wäre anders, bitte glaub mir das.«
    Er hörte nicht auf über ihr Haar zu streichen, als ob er davon Abschied nehmen wollte. »Ich glaube dir«, sagte er. »Du und ich, wir waren so perfekt, nicht wahr? Von klein auf zusammen, beide wohlgeratene Kinder von reizenden Eltern, beide voller Glauben an das Gute im Leben und in den Menschen. Ich war immer sicher, ich wäre mit dir glücklich geworden, und um ehrlich zu sein, ich bin es noch.«
    »Ich auch«, erwiderte Anavera ehrlich.
    »Aber dass es nicht reicht, habe ich schon vor Ostern gewusst, auch wenn ich es damals noch nicht wahrhaben wollte.«
    »Wie konntest du das denn wissen?«, fragte sie verblüfft. »Ich
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