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Im Schutz der Schatten: Roman (German Edition)

Im Schutz der Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Im Schutz der Schatten: Roman (German Edition)
Autoren: Helene Tursten
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Paracetamol und neun Stunden Schlaf wirkten Wunder. Irene wurde von der Sonne geweckt, die durchs Fenster schien. Die Staubkörnchen funkelten wie feiner Schneefall in den Sonnenstrahlen. Das war schön, bedeutete aber auch, dass sie putzen musste. Aber das hatte Zeit. Jetzt wollte sie nur den Augenblick genießen. Zum ersten Mal seit Wochen fühlte sich Irene richtig ausgeruht. Aber als sie aufstehen wollte, holte sie die Wirklichkeit ein. Sie war steif wie eine rostige Ritterrüstung. Jede Faser ihres Körper protestierte, als sie versuchte, sich zu bewegen. Davon, dass sie ins Badezimmer wankte und ihr Gesicht im Spiegel betrachtete, wurde es auch nicht besser. Die Pflaster waren noch da, aber die gesamte linke Gesichtshälfte hatte sich blau verfärbt. Wie sie aussah! Irenes erster Impuls war, sich die nächsten zwei Wochen vor der Welt zu verstecken, aber als sie die Schlagzeile der Göteborgs-Posten sah, überlegte sie es sich anders. »Mehrere Tote bei Bombenanschlag. Höhepunkt des Bandenkriegs?« Die schwarzen Buchstaben nahmen die halbe Titelseite ein.
    Sie überflog den Artikel. Der Reporter wusste nicht viel mehr als das, was am Vortag bereits im Internet kursierte. Mehrere Personen hatten sich in einem Haus in Gårda aufgehalten, als ein Sprengsatz explodierte. Die Opfer waren der Polizei bekannt. Da jedoch noch nicht alle Angehörigen unterrichtet worden seien, könne die Identität der Toten nicht bekannt gegeben werden. Der Reporter stellte eine Verbindung zur Bombe unter dem Wagen von Familie Huss und zu der Bombe vor dem Haus der Staatsanwältin Gunilla Åkesson in Örgryte her.
    Irene las einen weiteren Artikel über ein mutiges Mitglied der Polizei, das einen kleinen Jungen gerettet hatte, der zufällig kurz vor der Explosion die Straße entlangradelte. Geschlecht und Dienstrang des Polizisten wurden nicht genannt. Hingegen war ein Foto des gerade neun Jahre alt gewordenen Hampus abgedruckt, der das funkelnagelneue Fahrrad zum Geburtstag bekommen hatte. Sein Vater wurde mit den Worten zitiert, sie seien gerade erst in einen der Neubauten neben dem Sanierungsgebiet eingezogen. Er und seine Frau hätten zuerst gezögert, Hampus zu erlauben vom Åvägen in die Seitenstraße einzubiegen, gestatteten es dann aber, da sie für den Verkehr gesperrt war. Als der Sohn um die Ecke bog, hätten sie ihn aus dem Blick verloren, doch weil das einzig sichtbare Fahrzeug das Moped eines zu dem Zeitpunkt SMS schreibenden Teenagers war, machten sie sich keine Sorgen. Dann hörten sie plötzlich einen ohrenbetäubenden Knall. Nachdem der Vater sich in den Staubwolken einen Weg durch die Trümmer gebahnt hatte, stieß er zu seinem Erstaunen auf etliche schwerbewaffnete Polizeibeamte. »Wie so eine Truppe aus Kommissar Beck«, wurde er wörtlich zitiert. Außerdem trafen umgehend zwei Rettungswagen ein. Ehe er sich noch Gehör verschaffen konnte, hatte man Hampus schon in einen der Krankenwagen gebracht. Zu guter Letzt begriff einer der Beamten, wer er war, und man fuhr ihn zusammen mit seiner Frau zum Kinderkrankenhaus, wo sie erfuhren, dass ihr Sohn offenbar unverletzt war. »Obwohl wir natürlich nicht wissen können, ob er psychische Schäden davongetragen hat«, schloss der Artikel.
    Wie es dem Mitglied der Polizei ergangen war, das den Jungen gerettet hatte, erfuhr der Leser nicht. Psychisch fühlte sich Irene ganz okay, aber die physischen Schäden waren beträchtlich. Nicht so schlimm jedoch, dass sie nicht hätte ins Präsidium fahren können. Sie plante allerdings, ein Taxi zu nehmen und die Rechnung ihrem Arbeitgeber vorzulegen.
    Die mollige Taxifahrerin war in Irenes Alter. Ungeniert betrachtete sie Irenes Gesicht im Rückspiegel. Irene bat zum Präsidium gefahren zu werden, und die Taxifahrerin nickte, als bestätige sich, was sie bereits geahnt hatte. Als Irene bezahlt hatte und aussteigen wollte, drehte die Fahrerin sich um und sagte:
    »Erstatten Sie auf jeden Fall Anzeige. Glauben Sie nicht, was Ihnen das Schwein verspricht. Er wird es wieder tun. Seien Sie stark!«
    Sie wendete auf der Straße, um auf die Skånegatan zurückzufahren, und winkte Irene mit einem aufmunternden Lächeln zu. Wenn mein Gesicht nicht so wahnsinnig schmerzen würde, würde ich jetzt lachen, dachte Irene.
    Die Kollegen waren erstaunt, als Irene erschien, klopften ihr vorsichtig auf die Schulter und gratulierten ihr zu ihrem heldenhaften Einsatz am Vortag. Niemand war so taktlos, etwas über ihr Aussehen zu sagen, außer Jonny
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