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Im schoenen Monat Mai

Im schoenen Monat Mai

Titel: Im schoenen Monat Mai
Autoren: Emile de Turckheim
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wiederzufinden. Ich kremple dem Wachtmeister auf beiden Seiten die Hose auf, und mein Herz ist so zugeschnürt, dass ich anfange zu weinen. Ihr könnt es mir glauben oder nicht, weil es erstens nichts ändert und außerdem meine Geschichte ist, aber da war nichts auf seinen Knien, rechts nicht und links nicht, nur Haare und trockene Haut mit kleinen braunen Flecken, die aber mit dem violetten Mal von Lucette und mir nichts zu tun haben. Wenn man auf eine schlechte Nachricht wartet und die nicht kommt, ist das manchmal noch besser als eine gute. Lucette sagt, ein Unglück weniger ist ein Glück mehr. Sie hat die ganze Zeit nur von Unglücken erzählt, die ihr nicht passiert sind. Wenn sie über die Leiter auf die Holzscheune hinaufgeklettert ist, hat sie gesagt, schau, Aimé, sie ist gar nicht umgefallen. Wenn sie eine Torte gemacht hat, hat sie ihr beim Backen zugesehen, sie aus dem Ofen genommen und dann gesagt, schau, sie ist gar nicht verbrannt! Oder wenn wir am Sonntagnachmittag heimlich im Teich von Monsieur Louis baden waren, während er seinen Wein ausgeschnarcht hat, hat sie gesagt, wir sind nicht ertrunken, mein Lieber, und wie sie mich mit ihrem Gesicht angeschaut hat, das so hungrig nach Fröhlichkeit war, war es schon schön, dass wir nicht ertrunken sind. Die Standuhr schlägt elf Mal für elf Uhr, und ich denke an den Notar, der bestimmt nicht mehr kommt, und versuche mir vorzustellen, wie ein echter Notar aussieht, was für ein Gesicht er macht, wenn er sich mit den Erben um den Tisch versammelt, wie er zwischen den wahren Erben mit dem echten Kummer und denen, die nur wegen dem Wald mit den Wildschweinen da sind, unterscheidet. Ein komischer Beruf, sage ich zu mir und muss an die Eltern denken, die aus ihren Kindern Notare oder Ärzte-Anwälte machen wollen. Ich denke an Céline, die Wachtmeisterstochter, die nie von ihrer großen Schwester Lucette gehört hat und jetzt, kurz vor der Hochzeit, ihren Vater verliert und einen neuen Lieferanten finden muss.
    Abdallah ist genau in dem Moment gekommen, wo ich neben dem Wachtmeister sitze und weine, aber weil er ein Taktgefühl hat, hat er so getan, wie wenn er noch Sachen hinten aus dem Rettungswagen holt, und ist erst wiedergekommen, wie alles abgewischt war.
    »Fertig?«
    »Ja, klar. Das war der Letzte.«
    Er schaut den Wachtmeister an, ihm macht das nichts aus, wie er daliegt.
    »Du bist ja daran gewöhnt, dass du Tote siehst, mit deinem Beruf.«
    »Ja, man gewöhnt sich daran. Man gewöhnt sich an alles, Aimé.«
    Und das Schlimmste ist, dass es wahr ist, was Abdallah sagt. Der Tod von Frau Truchon ist ein bisschen danebengegangen, wie eine Skizze. Ich habe gedacht, ich schau dabei zu, wie sie mit dem Kopf in die Suppe fällt, und dann war es ganz anders, weil sie so spät und so langsam gestorben ist, dass ich das mit dem Umbringen schon fast vergessen gehabt habe, wie sie auf dem Fußschemel herumgehampelt ist. Bei Herrn Truchon war es genauso, wie ich es mir vorgestellt habe. Nur dass ich mir vorher keine Gedanken gemacht habe, wie ich ihm in die Augen schaue, wenn ich ihm mit der Axt den Kopf einschlage, und dann war es wohl ein ziemlich ratloser Blick, weil ich hab improvisieren müssen, während es für Herrn Truchon ein wichtiger Moment war, wie man ihn nur einmal im Leben erlebt und das auch nur, wenn einen einer mit der Axt erschlägt, was sehr selten und sehr erschreckend ist. Herrn Hi habe ich gar nicht angeschaut, aber nicht aus Feigheit, sondern weil die Daunendecke mit den Wolken und den Bärchen dazwischen war, und die ist so dick, dass ich kaum seinen leisen Protest gehört habe, ich weiß also nicht, was Herr Hi sich dabei gedacht hat. Bei Herrn Truchon und Sacha Milou könnte ich viel erzählen über ihre Liebe zum Leben, was die für Augen gemacht haben, wie die in die Ewigkeit gegangen sind! Ich will damit nicht sagen, dass sie Angsthasen waren, ich kann das verstehen, es kommt ja auch auf das Werkzeug an. Vor so einer Axt oder einem Schürhaken hat man zwangsläufig mehr Angst wie vor einem Suppenteller oder einer Decke mit Bärchen und Wolken. Nur bei Martial ist es mir schwergefallen. Obwohl er Lucette so viel angetan hat, habe ich ihn auch beim Erwürgen noch geliebt. Eigentlich wollte ich es im Schlaf machen, aber er ist dabei aufgewacht, wie ich meine Hände um seinen Hals gelegt habe. Nirgends war Licht, nicht einmal vom Mond, weil der Mond an diesem Abend nicht da war. Aber nachts hab ich Martial lachen gehört, weil es
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