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Im schoenen Monat Mai

Im schoenen Monat Mai

Titel: Im schoenen Monat Mai
Autoren: Emile de Turckheim
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Mädchen hat schwängern lassen, und damit die Familie nichts davon mitkriegt, hat er die Kleine seiner alten Kinderfrau übergeben, damit sie sie bei so einer Familie unterbringt, wo die Kinder mit dem Stock erzogen werden! Er hat weder sie noch das Baby je wiedergesehen! Stellen Sie sich das vor! Ich habe die Nacht mit ihm in einem Bett verbracht und kann Ihnen versichern, dass er solche Gewissensbisse hat! Der arme Mann kann keine Nacht mehr schlafen!«
    »Sind Sie sich da sicher, Herr Milou? Ich habe das nicht so verstanden.«
    »Und wie ich mir sicher bin! Genau das hat er gesagt, wortwörtlich. Und was, bitte, haben Sie verstanden?«
    »Ich hab es so verstanden, dass er, weil er alt ist und bald sterben wird, und man stirbt bald, wenn man alt ist, jetzt langsam Angst vor Gott kriegt, sofern es den gibt, und sich fragt, ob er trotz allem, was er getan hat, noch ins Paradies kommen kann.«
    Da hat Sacha Milou zum ersten Mal mitgekriegt, dass ich da bin. Wie wenn ich auf einmal vor ihm stehe und er mein Gesicht, meine Hände, vielleicht sogar mein Herz durch die Kleider hindurch schlagen sieht. Er schaut aus wie der traurigste, unglücklichste Mensch auf der Welt in seiner zu kleinen Hose und seiner Zirkusweste mit den vergoldeten Achselstücken.
    »Man darf Leute nicht so verurteilen, Aimé.«
    Lucette sagt, man sollte sich nicht täuschen lassen von meiner schüchternen Art und meinem Blick, der sich immer verkriecht. Sie sagt, dass ich einen Willen aus Stahl habe und nicht einmal ein Berg es wagen würde, mir zu widerstehen, wenn ich mich in ihn verlieben würde. Einmal habe ich gefragt: »Auch ein ganz großer Berg?« Und sie hat drauf gesagt: »Sogar der Himalaya.« Den kenne ich nicht, aber bei dem Namen stelle ich ihn mir riesig groß vor und sehr in mich verliebt. Sacha schaut mich von allen Seiten an, wie um herauszufinden, wo ich meine Ideen verstecke. Ich rolle den Schürhaken zwischen meinen Händen, als wenn ich ihm gleich eine wichtige Frage stellen will, aber ich schaue ihn nicht an, sondern den Ruß, den der Schürhaken auf meine Hände schmiert.
    »Sacha ... haben Sie schon einmal wen so geliebt, dass die von den Menschen erfundenen Regeln immer mehr zum Gänsespiel geworden sind?«
    »Was? Gänsespiel? Ich habe ... wie soll ich sagen ... ja, ich habe schon einmal sehr geliebt ...«
    »Und was hätten Sie für Kolja getan?«
    Er greift an seinen Ärmel, wie wenn unter der Zirkusjacke nicht nur ihr Name ist, sondern die ganze Kolja.
    »Für wen?«, fragt er und drückt mit seinen Wurstfingern den tätowierten Namen.
    Die Erinnerungen an seine Liebe verlegen ihm die Gurgel, ich kann ihn kaum noch verstehen.
    »Ich hätte alles für Kolja getan. Ich hätte alles stehen und liegen gelassen ... und wäre ins erste Flugzeug nach Jekaterinburg gestiegen ... oder mit einem Pferd durch den Schnee geritten ...«
    Jetzt ist dasselbe Gefühl in ihm wie bei dem Lied, das ihn von unten bis oben viel schöner gemacht hat.
    »Das mit dem Flugzug und dem Pferd geht in Ordnung. Was ich Sie aber fragen will, Monsieur Milou, ist, ob Sie auch bereit gewesen wären, aus Liebe zu Kolja zu töten.«
    »Töten? Nein! Niemals!«
    Er schaut mich an, wie wenn ich ein Idiot bin oder übergeschnappt. Dann wirft er einen bösen Blick auf den Schürhaken, logischerweise.

13
    Der Wachtmeister kommt durch den Dreck aufs Haus zugestapft, ich sehe ihn durch die Glasscheiben in der Eingangstür immer größer und größer werden. Den bring ich als Letzten um. Ich habe Kaffee gemacht und mir dabei richtig Mühe gegeben, Monsieur Louis hat nämlich immer gesagt, es gibt für alles, was man macht, die bestmögliche Art, es zu machen. Sogar fürs Tieretöten gibt es die bestmögliche Art. Beim Gewehrputzen hat Monsieur Louis einmal zu mir gesagt, du kannst dir nicht vorstellen, Aimé, wie hartnäckig, einfallsreich und mächtig so ein Wildschwein ist, es würde als Erster schießen, wenn es ein Gewehr hätte. Kleine Wildschweine hat er nicht töten wollen, Monsieur Louis, einerseits weil an denen weniger dran ist, aber vor allem möchte man beim Töten die Vorstellung haben, der andere hätte sich retten können, wenn er sich nur ein bisschen mehr Mühe gegeben hätte. Also je muskulöser das Wildschwein ist, das man erschießt, desto leichter kann man sich einreden, dass jeder eine Chance hat zu gewinnen, und das Gefühl von Fairplay haben. Fairplay ist, wenn man sich beim Spielen absichtlich auf die Füße steigen lässt und so tut,
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