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Im Schloss der schlafenden Vampire

Im Schloss der schlafenden Vampire

Titel: Im Schloss der schlafenden Vampire
Autoren: Stefan Wolf
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Der
Wagen jagte durch Schlaglöcher.
    „Vati!“, ertönte ein dünnes
Stimmchen hinter ihm. „Fahren wir schon nach Hause?“
    Um ein Haar hätte er das
Lenkrad verrissen. Die dicke Eiche raste auf ihn zu — nein! er auf sie. Der
Wagen schaukelte. Dann war er wieder auf der Fahrbahn. Weg vom Gas! Ausatmen!
Denn der Schreck hatte ihn durchzuckt bis zum Knie. Verdammt, woher kam diese
Kinderstimme?
    Er fuhr langsamer und sah in
den Innenspiegel.
    Der Touring war einer der
längsten überhaupt. Auf dem Stauraum hinter den Rücksitzen hätten zwei
Bernhardiner Platz gehabt. Zeugs lag dort — Klamotten und eine große
Kamelhaardecke, die er beim Einsteigen freudig wahrgenommen hatte. Teures
Stück! Die würde er...
    Aber jetzt schoben sich unter
der Decke zwei Köpfe hervor und zwei Augenpaare — eins in Tiefblau und eins in
Rehbraun — blickten her.
    Kinder! Mädchen! Ganz jung!
Höchstens Schulanfänger.
    Hübsche Mädchen mit langen
Haaren, braun und blond.
    O verdammt! Konrad begriff.
Heymwachts Töchter. Sie hatten unter der Decke geschlafen, offenbar wie
Murmeltiere, und jetzt...
    Die Blonde öffnete das
Mündchen. „Du... bist ja gar nicht unser Vati. Du... Wo ist Vati?“ Sie schrie.
„Tina, das ist nicht unser Vati. Das... das ist ein Mann, den wir nicht kennen.
Und er sieht hässlich aus — hääääääässlich.“
    Tina stützte das Kinn auf die
Rücklehne. „Lena, der fährt mit uns weg. Wohin fährst du? Du! Duuuuuuu!“
    Kalter Schweiß lief Konrad Vogt
aus den Haaren. Aus!, dachte er. Daaaas durfte nicht passieren! Jetzt bin ich
verratzt. Ich hab’ aus Versehen die Gören entführt. Wohin damit? Soll ich sie
rauswerfen bei rasender Fahrt?
    Lena, die offenbar etwas älter
war, flüsterte: „Du hast Recht. Er fährt weg mit uns. Und er ist so
häääääässlich.“ Hm! Konrad pustete Schweißtropfen von seiner Oberlippe. Sie
spritzten gegen die Scheibe. Er zitterte. Verflucht! Wenn er die Mädchen
aussetzte, würden sie ihn beschreiben. Das war leicht. Für so häääääässlich
hielt er sich zwar nicht, aber sein Äußeres war unverwechselbar.
,Quetschgesicht’ hatten sie ihn in der Schule genannt und auch später unter
Arbeitskollegen. Sein Gesicht war nun mal breiter als hoch — als hätte eine
Übellaune der Natur die ursprüngliche Form von oben und unten zusammengedrückt:
alles breit und flach. Hinzu kam, dass er rosige Haut hatte und borstendicke
Brauen. Nein, ihn vergaß man nicht. Und Augenzeugen waren seine größte Gefahr.
    „Heh, du!“, rief Lena. Sie war
sieben, wie sich später herausstellte. „Darfst du mit unserem Wagen fahren?
Hat’s dir Vati erlaubt?“
    „Halt den Mund!“, schrie er.
„Halt den Mund!“ Erschrocken zuckten die beiden zusammen. Tina tauchte ab
hinter die Rücklehne. Lena war mutiger, zwinkerte zwar heftig mit
langbewimperten Lidern, blieb aber in Position. Blaue Augen schienen ihn zu
fotografieren.
    „Wie heißt du?“, fragte sie
leise.
    „Halt den Mund! — habe ich
gesagt.“
    „Du hast unser Auto gestohlen,
nicht wahr?“
    „Schnauze! Oder du kriegst eine
Ohrfeige.“
    „Hihih! So einen langen Arm
hast du nicht. Und wenn du anhältst, laufen wir weg.“
    Seine Gedanken jagten. Was tun?
Sie konnten ihn beschreiben. Zur Hölle mit diesen Bälgern! Lena prägte sich
bereits ein, was sie von ihm sah: von hinten und im Innenspiegel. Das würde
reichen. Außerdem musste er sich irgendwann umdrehen.
    Jetzt schob sich auch Tinas
Gesicht wieder über die Rücklehne. Aber die Kleine hatte Tränen in den Augen
und ihr Mund zuckte.
    „Vati lässt immer den Schlüssel
am Lenkrad stecken“, sagte Lena. „Dashalb hast du unser Auto gestohlen.
Oder...“, sie schien zu überlegen, „ooooooder hast du uns gestohlen und das
Auto nur noch so dazu?“
    „Ich werde gleich anhalten.“
Seine Stimme raschelte, als werde Zellophanpapier zu Klumpen geballt. „Und so
schnell hinten sein, dass ihr nicht weglaufen könnt. Dann hagelt es Ohrfeigen.“
    Das wirkte. Lenas Mündchen
verzog sich.
    „Ja, du hast uns gestohlen“,
rief sie dann trotzig. „Du willst Geld für uns haben, damit wir zu Mutti und
Vati zurückdürfen. So einer bist du.“

    Keine schlechte Idee!, dachte
Konrad. Aber immer noch trat ihm Schweiß aus allen Poren. Sogar auf dem
Friedhof war ihm das passiert — an späten Nachmittagen im Herbst, wenn es früh
dunkelte und sich die Büsche im Wind wie die Geister der Toten bewegten.
    „Sag doch was!“, verlangte
Lena. Sein Schweigen schien
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