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Im Schlauchboot durch die Unterwelt

Im Schlauchboot durch die Unterwelt

Titel: Im Schlauchboot durch die Unterwelt
Autoren: Stefan Wolf
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chemische Toilette,
kleine Wasserration fürs Duschen. Und durch die Plastikwände pfeift der
Wintersturm.«
    »Leidenschaftliche Camper sehen
das anders«, meinte Karl. »Und vergiss nicht: Die Knastis wohnten 20 Jahre in
stabilen Zellen. Als Kontrastprogramm ist jetzt Zelten angesagt. Oder
wenigstens Campen im Wohnwagen.«
    »Also los!«Tim stand auf. »Wie
ist das mit euch?«, wandte er sich an Karl und Klößchen. »Ihr wollt doch in die
Kanalisation — mit wissenschaftlichem Anliegen.«
    »Aber erst morgen«, erklärte
Klößchen. »Morgen kriegen wir das Schlauchboot. Und die Abwassermeisterin hat
Zeit für uns. Dann durchforschen wir die stinkigen Katakomben unter unserer
Millionenstadt.«
    »Igitt!« Gaby schüttelte sich.
    »Ich nehme mir genügend
Schokolade mit«, grinste Klößchen. »Der zarte Schmelz auf der Zunge bewahrt
meine empfindlichen Sinne vor der Fäulnis dort unten, der gequirlten... na ja,
und den zahllosen Ratten, denen die Kanalisation trautes Heim ist.«
    »Völlig abartig!«, urteilte
Gaby. »Du hättest dir auch ein anderes Thema suchen können — für deine
Sozialkunde-Halbjahresarbeit.«
    »Das geht in Ordnung«, wurde
Klößchen von Karl verteidigt. »Ich meine, es ist ungeheuer interessant, mal zu
untersuchen, was aus dem flüssigen Dreck wird, den unsere Millionenstadt
produziert — wie aus Pieselbrühe wieder klares Wasser zum Zähneputzen wird.
Kein bequemes Thema, aber ein wichtiges. Deshalb mache ich ja auch mit als
Klößchens Assistent.«
    »Viel Vergnügen!«, wünschte Gaby.
»Aber wechselt bitte die Klamotten, bevor ihr wieder zu uns stoßt.«

3. Spaßvogel
    Eine Woche nach seinem 76.
Geburtstag verlor Otto Kräsch — Matildes Opa — endgültig die Lust am Leben.
    Das Essen schmeckte nicht mehr.
Seine gleichaltrige Freundin wollte nichts mehr von ihm wissen. Die
Verdauungsorgane widersetzten sich Whisky und Wein. Mit Erwin, seinem
verdammten Sohn, verstand er sich immer noch nicht. Und Matilde — na ja, sie
war ein hoffnungsloser Fall. Flelfen konnte er ihr sowieso nicht. Außerdem plagte
ihn Rheuma.
    Heute schien die Sonne. Aber
auch das war kein Grund zur Freude.
    Otto öffnete die Hausbar und
nahm den Whisky heraus.
    In ein großes Glas schüttete er
das weiße Pulver aus dem Papiertütchen.
    Das Pulver war schon sehr alt.
Vor zig Jahren hatte er damit Ratten umgebracht. Allerdings war er sich nicht
ganz sicher, ob dieses Pulver das Gift war oder...?
    Dunkel entsann er sich an einen
Scherzartikel mit üblen Folgen. Eine ähnliche Tüte. Ein ähnliches Pulver.
    »Nein!«, murmelte er. »Es muss
das Gift sein.«
    Den Scherzartikel — klar, den
hatte er damals unter den Zucker gemischt. Aus Anlass einer
Nahrungsmittelspende fürs Altersheim.
    Otto füllte mit Whisky auf.

    Es klingelte an der Tür.
    Der Postbote? Matilde? Erwin
war’s bestimmt nicht.
    Er öffnete.
    Alfred Könken, genannt
Filzlaus, stand vor der Haustür, grinste hämisch, hatte aber Probleme, die Hand
aus der Tasche zu ziehen.
    Als es endlich gelang, richtete
er die Pistole auf Otto.
    »Da bin ich, du Sau.«
    Otto betrachtete ihn. Könken
war 73, sah aber aus wie 100.
    »Du hast nicht entsichert.
Immer noch der alte Idiot, wie? Leider kriege ich die Füße nicht mehr hoch.
Sonst würde ich dich sonst wohin treten.«
    Könken entsicherte die Waffe.
    »Ins Haus! Und keine falsche
Bewegung, Otto!«
    Im Wohnzimmer blähte er
schnuppernd die Nüstern.
    »Duftet nach Whisky. Hah?«
    »Was willst du?«, fragte Otto.
    »Dich umlegen.«
    »Jetzt? Nach 30 Jahren? Seit
1971 haben wir uns nicht mehr gesehen.«
    »Für Rache ist es nie zu spät.«
    »Du meine Güte.«
    »Außerdem war ich die meiste
Zeit im Knast. Erst in England, dann in Spanien. Zuletzt in Frankreich. Richtig
frei bin ich erst seit Kurzem.«
    »Gratuliere.«
    »Alle die Jahre habe ich davon
geträumt, dich alle zu machen. Jetzt werde ich das genießen. Kommt auch nicht
mehr drauf an, ob sie mich erwischen. Bin ziemlich kaputt.«
    »Weshalb?«
    »Habe nie sehr gesund gelebt
und...«
    »Dein Kadaver interessiert mich
nicht. Ich meine: Weshalb willst du mir das Licht ausblasen?«
    »Heh, Otto! Bist du verkalkt?
Weißt du’s nicht mehr? Als ich 1969 im Knast saß, bist du mit meiner Frau
durchgebrannt. Ja, du warst gerade Witwer und meine Annette kam dir gelegen.
Trotzdem hast du bestimmt nicht aus Liebe gehandelt.«
    »Sondern?«
    »Tu nicht so! Annette hatte die
Goldbarren versteckt — die geraubten Goldbarren. Nur sie wusste, wo der
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