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Im Schlauchboot durch die Unterwelt

Im Schlauchboot durch die Unterwelt

Titel: Im Schlauchboot durch die Unterwelt
Autoren: Stefan Wolf
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Gebüsch hörte sie plötzlich die schrillen Hilferufe
eines Kindes und geiferndes Hundegebell. Die akustische Botschaft war
eindeutig: Ein tollwütiger Hund fällt ein Kind an. Kim — eine beherzte
Amerikanerin und Mitglied der nationalen Judo-Mannschaft — trat sofort auf die
Bremspedale des Kinderwagens, schnappte sich einen herum liegenden Knüppel und
stürmte los. Doch hinter dem Gebüsch war nichts zu sehen: kein Kind, kein Hund.
Trotzdem hielt das Geschrei an — schien aus dem Boden zu dringen. Und dort lag
auch — zwischen hohem Gras und Farnen — ein Audiorecorder. Er war auf volle
Lautstärke gedreht und spielte die Szene ab. Kim dachte sich zunächst nichts
dabei, hielt alles für einen Scherz und schaltete den Recorder lediglich aus,
statt ihn mitzunehmen. Als sie dann zum Kinderwagen zurückkam, traf sie fast
der Herzschlag. Die Babykutsche war leer. Auf dem Strampelsack lag ein Brief
der Kidnapper. Er bestand aus ausgeschnittenen Zeitungsbuchstaben und war — wie
sich später rausstellte — natürlich frei von Fingerabdrücken. Die
Lösegeldforderung mit 600 000 DM war vergleichsweise bescheiden. Kim sauste wie
eine Wilde durch den Park — indes: keine Spur von irgendwem, geschweige von
einem Kidnapper. Dann fiel Kim der Recorder ein und sie flitzte zum Gebüsch
zurück. Aber das Gerät war inzwischen verschwunden.«
    Staunend hatten Tim, Gaby und
Klößchen zugehört.
    »Ich stehe unter Schock«,
erklärte Tims Freundin. »Das ist ja absolut die gleiche Story. Genau der
gleiche Trick. Sogar der gleiche Tatort, nämlich der Stadtpark. Lediglich neue
Opfer. Eh... 21 Jahre danach. Ist da ein Wiederholungstäter am Basteln?«
    Tim sagte: »Faustos
Lebensgefährtin — die Alice Koppler-Glückstedt — ist übrigens auch
Kampfsportlerin. Allerdings nicht Judo, sondern Freistilringen.« Er grinste.
»Das ist die Rangelei, bei der die Damen die Ohrringe abnehmen müssen — und
anderen Körperschmuck, der durch Piercen auf der Grifffläche angebracht wurde.«
    »Metallgehänge am Bauchnabel«,
meinte Klößchen und verzog das Gesicht.
    Tim wandte sich an Karl. »Wie
ging’s damals aus?«
    »Schlecht — für die Kidnapper.
Bei der Geldübergabe wurden sie gefasst.«
    »Aha.«
    »Drei Profis. 1980 wurden sie
verknackt. Zu... 20 Jahren. Jeder.«
    »Ohl«, meinte Gaby.
    »Interessant!«, sagte Tim.
    Karl grinste. »Da jeder mit
etlichen Vorstrafen belastet war, ist nicht anzunehmen, dass sie vorzeitig
entlassen wurden.«
    »Aber nun«, sagte Tim, »sind
die 20 Jahre um.«
    »Du sagst es, Häuptling.«
    »Deine Info, Karl, ist Gold
wert. Du bist super drauf — trotz deiner lebensgefährlichen Halsschmerzen.«
    »Ich verschieße Geistesblitze
und als Dank muss ich mich verspotten lassen. Ich möchte euch mal sehen — mit
so geröteten Mandeln!«
    »Gaby steht sogar das. Aber nun
mal zu den Tätern. Wurden die damals namentlich genannt? Bei so einem
Kapitalverbrechen ist es eigentlich üblich.«
    Karl nickte. »Arnold Peschke,
jetzt 72 Jahre alt, Hartmut Meier, jetzt 70, Sigurd Helmers, jetzt 75.«
    »Nicht gerade die Jüngsten«,
meinte Gaby. »Und 20 Jahre im Knast sind kein Jungbrunnen. Weil Tag für Tag die
Vorfreude fehlt.«
    »Vorfreude worauf?«, fragte
Tim.
    »Auf einen Theaterbesuch, auf
den Besuch der Staatsoper, auf Ausflüge in die weite Natur, auf eine Speisung
beim Nobel-Italiener und vor allem — auf ein Rendezvous mit der Liebsten.«
    »Dem ist nichts hinzuzufügen«,
nickte Tim. »Aber«, schaltete sich Klößchen ein, »ist abgewrackten Siebzigern
denn zuzutrauen, dass sie die gleiche Kiste noch einmal abziehen — nur ne
Nummer größer, nämlich mit höchstem Lösegeld?«
    Alle überlegten.
    »In der Not«, meinte Karl,
»frisst der Teufel Fliegen. Und wer einmal aus dem Blechnapf fraß — ich meine,
wer an Gefängniskost gewöhnt ist den schreckt das nicht mehr. Zumal die
Kantinen-Verpflegung dort gar nicht so schlecht sein soll. Ich will damit
sagen: Die drei haben eigentlich nichts zu verlieren. Wenn sie erwischt werden,
fängt eben alles nochmal an. Nebbich! (Wenn schon!)«
    »Außerdem«, nickte Gaby, »kann
man sich im Knast keine Superrente erarbeiten. Vor der angenehmen
Auskömmlichkeit sind da etliche Versorgungslücken. Mehr oder weniger sind die
drei jetzt Sozialfälle. Es sei denn, sie haben vergrabene Schätze. Eher nicht.
Also wäre es doch super für die Oldies, wenn sie nochmal ein dickes Ding
abziehen und sich dann mit Knete satt in ein Ferienparadies absetzen. In
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