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Im Schatten des Vaters

Im Schatten des Vaters

Titel: Im Schatten des Vaters
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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und eigentlich war der Sinn doch, zu entspannen und eine andere Lebensform zu finden, also schön. Brechen wir hier ab und machen eine Pause.
    Er sah Roy an, der sich fragte, ob sein Vater wirklich mit ihm redete.
    Lass uns wandern gehen, sagte er. Hol dein Gewehr und die Patronen. Heute sehen wir uns mal um.
    Roy sagte nichts, weil das Vorhaben zu wacklig wirkte. Er war sich nicht sicher, ob der Plan nicht in ein paar Minuten wieder umgeworfen wurde. Aber sein Vater ging rein und nahm, als Roy ihm folgte, gerade sein Gewehr aus dem Futteral, da holte Roy seins, steckte sich ein paar Patronen in die Tasche und nahm Hut und Jacke.
    Nimm lieber auch die Feldflasche mit, sagte sein Vater.
    Als sie loszogen, war es noch nicht Mittag. Sie gingen in den Hemlockwald und nahmen einen Wildpfad hügelauf und hügelab, bis sie am Fuß des Berges zu Fichten und Zedern gelangten. Als sich der Wildpfad verlief, wanderten sie über Heidelbeeren und andere Zwergsträucher, bemüht, im Unterholz nicht den Halt zu verlieren. Der Boden war uneben, schwammig und voller Löcher. Sie kamen wieder an Hemlocks vorbei und blieben stehen, um einen Blick über die Bucht zu werfen. Sie waren außer Atem, bestimmt schon zweihundert Meter über ihrer Hütte und der Berg über ihnen war so steil, dass sie den Gipfel nicht sehen konnten, nur seinegebogene Flanke. Die Hütte unter ihnen sah sehr klein aus und unfassbar.
    Die anderen Inseln, sagte sein Vater. Von hier kann man die viel besser sehen.
    Wo ist das Festland?
    Weit hinter uns, über die ganze Prince of Wales und noch ein paar Inseln hinweg, glaube ich. Im Osten. Das ist was, von dem wir wenig mitkriegen, Sonnenaufgang. Bis zum Vormittag liegen wir im Schatten.
    Sie blieben noch eine Weile bei ihrer Aussicht, dann nahmen sie die Gewehre und kletterten weiter. Kleine Wildblumen wurden unter ihren Füßen und Händen zerdrückt, Moos und die Heidelbeeren, die noch gar nicht reif waren, und die ein oder anderen Gräser. Tiere waren keine zu sehen, doch dann entdeckte Roy ein Streifenhörnchen auf einem Felsen.
    Moment, Dad, sagte er, und sein Vater drehte sich um. Roy holte aus und schleuderte sein Wurfholz. Es verfehlte das Streifenhörnchen um etwa drei Meter, kam mehrmals auf und blieb etwa zwanzig Meter weiter unten liegen.
    Ach Mann, sagte er, ließ sein Gewehr liegen, holte sein Wurfholz und kam wieder zurück.
    Darauf können wir wohl erst mal nicht bauen, sagte sein Vater.
    Je höher sie kamen, desto mehr Wind hörten sie, und ein paar Vögel schwirrten vorbei. Sie hatten noch immer keinen Pfad.
    Wo gehen wir eigentlich hin?, fragte Roy.
    Sein Vater wanderte noch eine Weile weiter und sagte schließlich, Würde sagen, einfach mal nach oben und dann umschauen.
    Oben jedoch kamen sie an die Wolkengrenze. Sie bliebenstehen und sahen hinab. Rundherum war es bedeckt, keine Helligkeit, aber immerhin waren die niederen Regionen frei von Nebel und Wolken und wärmer. Hier an der Kante kamen große Wolkenfächer herunter und wurden vorbeigeblasen. Darüber nur noch wenige schwache Umrisse, und dann war alles dicht. Der Wind war hier stärker, die Luft feucht und viel kälter.
    Tja, sagte sein Vater.
    Ich weiß nicht, sagte Roy.
    Aber sie gingen weiter in die Wolken und die Kälte, und noch immer kein Pfad. Roy versuchte im Vorbeigehen, aus den schwachen Schemen um sie herum Bär und Wolf und Vielfraß zu erkennen. Die Wolke schloss seinen Vater und ihn in eine Geräuschkapsel ein, sodass er seinen eigenen Atem und das Blut in seinen Schläfen hörte, als pochte es außerhalb, und das verstärkte noch sein Gefühl, beobachtet, ja gejagt zu werden. Die Schritte seines Vaters vor ihm klangen ohrenbetäubend. Angst breitete sich in ihm aus, bis er in kleinen Zügen die Luft anhielt und nicht mehr darum bitten konnte, umzukehren.
    Sein Vater marschierte weiter, ohne sich umzudrehen. Sie passierten die Baumgrenze und das dichtere Unterholz und traten auf dünneres Moos, stoppelkurzes hartes Gras und die gelegentliche kleine Wildblume, die bleich daraus hervorspitzte. Sie liefen über kleine Felsplacken und dann fast nur noch Fels und kletterten steilere Steinhügel hinauf, eine Hand am Boden, die andere am Gewehr, bis sein Vater anhielt und sie anscheinend ganz oben standen und nichts sahen als blasse Umrisse, die sich fünf Meter weiter unter ihnen auflösten, als endete die Welt ringsum am Kliff, als wäre weiter oben nichts mehr zu finden. Sie standen lange dort, so lange, bis Roys Atem ruhiger
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