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Im Schatten des Vaters

Im Schatten des Vaters

Titel: Im Schatten des Vaters
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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das Funkgerät ins große Zimmer, in die hintere Ecke. Sein Vater klemmte es an zwei große Batterien und erinnerte sich dann an die Antenne.
    Die muss aufs Dach, sagte er. Sie gingen raus, befanden das Vorhaben schließlich für zu groß und beschlossen, bis zum nächsten Tag zu warten.
    In der Nacht, später, weinte sein Vater wieder. Er sprach mit sich selbst in einem Flüsterton, der wie ein Wimmern klang, wenn er weinte, und Roy konnte nicht verstehen, was sein Vater sagte, oder sich vorstellen, was das für ein Schmerz sein oder woher er kommen sollte. Was sein Vater zu sich selbst sagte, brachte ihn nur noch heftiger zum Weinen, als würde er sich selbst antreiben. Er verstummte, erzählte sich noch etwas und fing wieder an zu wimmern und zu schluchzen. Roy wollte das nicht hören. Es ängstigte und lähmte ihn, und er konnte es unmöglich zum Ausdruck bringen, jetztoder tagsüber. Er schlief nicht ein, bis sein Vater schließlich aufhörte und selbst wegsackte.
     
    Am Morgen erinnerte sich Roy an das Weinen, und ihm schien, genau das sollte er nicht. Irgendeiner Vereinbarung zufolge, der er nicht beigewohnt hatte, sollte er es nachts hören und tags nicht nur vergessen, sondern auch irgendwie ungeschehen machen. Allmählich fürchtete er ihre gemeinsamen Nächte, auch wenn es bislang nur zwei gewesen waren.
    Sein Vater war am Morgen wieder gut gelaunt, machte Eier und Hash Browns mit Speck. Roy tat so, als wäre er besonders müde, als wachte er nur mühsam auf, denn er wollte nachdenken und war noch nicht bereit, bei der guten Laune und dem Vergessen mitzumachen.
    Der Essensduft brachte ihn schließlich auf die Beine, und er fragte, Schließen wir denn heute das Funkgerät an?
    Klar, und wir bauen den Holzschuppen und den Räucherofen und vielleicht auch noch ein kleines Sommerhaus?
    Roy lachte. Stimmt, da gibt es eine Menge.
    Mehr als Eier in einem Lachs.
    Sie aßen wieder auf der Veranda, und Roy überlegte, dass es bei schlechtem Wetter schwieriger würde, wenn sie beim Essen in dem kleinen Zimmer hocken mussten. Heute Morgen war es auch schon bedeckt, aber immer noch warm genug nur mit einem Pulli. Er erinnerte sich, dass es in Ketchikan auch die meiste Zeit grau und nieselig gewesen war. Das sah schön aus auf dem Wasser, wie es so grau dahinschmolz, das Meer schwerer als alles und vollkommen undurchdringlich, und wie Lachs und Heilbutt daraus hervorkamen.
    Nach dem Frühstück machten sie sich daran, die Antenne zu installieren, fanden aber keinen Zugang zum Dach. Siehatten keine Leiter, und es gab keine Dachkante, keinen Halt, keine Balken und keine Mauern zum Gegenstemmen. Sein Vater trat von der Hütte zurück und ging einige Male um sie herum.
    Tja, sagte er, ohne Leiter kommen wir da wohl nicht rauf. Und selbst wenn wir eine hätten, wüsste ich nicht, wie weit die uns bringen würde.
    Also banden sie die Antenne entlang der Dachkante fest. Die Antenne stellte sich ohnehin bloß als langes Kabel an einer Spule heraus, insofern war es eine gute Lösung. Als aber sein Vater das Radio einschaltete, bekamen sie keinen klaren Empfang. Bloß Rauschen und Ticken und komische verzerrte Laute, die Roy an einen alten Sciencefiction erinnerten, an Schwarzweißfernsehen, Ultraman und Flash Gordon. Und das sollte ihr einziger Kontakt zur Außenwelt sein.
    Kriegen wir das denn überhaupt hin?, fragte Roy.
    Ich arbeite dran, sagte sein Vater ungeduldig. Jetzt warte erst mal ab.
    Da verändert sich irgendwie gar nichts, sagte Roy nach weiteren verzerrten Minuten.
    Sein Vater drehte sich um und sah ihn schmallippig an. Mach mal eine Weile was anderes, ja? Du kannst die Schindeln sägen.
    Roy ging hinters Haus, sah die Schindeln an und nahm eine in Angriff, aber ihm war nicht danach, also suchte er sich einen Zweig mit einer Krümmung von fünfundvierzig Grad. Er sägte etwa acht Zentimeter von beiden Enden ab und machte sich daran, mit seinem Taschenmesser ein Wurfholz daraus zu schnitzen. Er fragte sich, ob es hier oben wohl Kaninchen und Eichhörnchen gab. Er konnte sich nicht mehr erinnern. Er würde auch noch einen Fischspeer machen und Pfeil und Bogen und eine Streitaxt.
    Er feilte an dem Wurfholz, glättete die Seiten und rundete die Enden, bis sein Vater kam und sagte, Ich kriege das verdammte Ding nicht hin, dann Roy ansah, und stutzte. Was ist das?
    Ich mache ein Wurfholz.
    Ein Wurfholz? Sein Vater wandte sich ab und drehte sich wieder um. Okay. Schön. Egal. Weißt du, ich kriege hier sowieso zu viel,
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