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Im Schatten des Vaters

Im Schatten des Vaters

Titel: Im Schatten des Vaters
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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wurde und die Hitzeaus ihm wich und er die Kälte am Rücken und in den Beinen spürte, so lange, dass das Blut nicht mehr in den Ohren rauschte und er den Wind hörte, der über die Gipfel strich. Es war kalt, aber irgendwie tröstlich in seiner Abgeschlossenheit. Das Grau war überall, und sie gehörten zu ihm.
    Kein toller Ausblick, sagte sein Vater und drehte sich um, und sie gingen hinunter, woher sie gekommen waren, und sprachen nicht weiter, bis sie aus den Wolken heraus waren.
    Sein Vater blickte über den tiefen Sattel zum nächsten Bergrücken und dann auf das, was sie hinter dem Sattel sehen konnten, mehr Berge, ungewiss im Grau. Vielleicht sollten wir einfach wieder runtergehen, sagte er. Es ist nicht sehr warm und nicht sehr klar, und viele Pfade scheint es auch nicht zu geben.
    Roy nickte, und sie setzten ihren Weg durchs Gestrüpp fort, zum Wäldchen am Fuß des Berges, über den Wildpfad bis zu ihrer Hütte.
    Etwas stimmte nicht, als sie dort ankamen. Die Haustür hing schief an einer Angel, und auf der Veranda lag Müll.
    Herrgott, sagte sein Vater, sie trabten los und wurden langsamer, je näher sie der Hütte kamen.
    Sieht nach Bären aus, sagte sein Vater. Was da rumliegt, ist unser Essen.
    Roy sah zerfetzte Mülltüten mit Dauerkonserven, die sich zur Tür hinaus, über die Veranda und das Gras verteilten.
    Womöglich sind sie noch da drinnen, sagte sein Vater. Patrone einlegen und entsichern, aber verlier nicht die Nerven, und halt den Lauf nach unten. Okay?
    Okay.
    Sie legten Patronen ein und gingen langsam auf die Hütte zu, bis sein Vater hinaufstieg und an die Wand hämmerte und brüllte und wartete und keine Regung kam und kein Laut.
    Scheinen nicht mehr hier zu sein, sagte er, aber man kann nie wissen. Er ging auf die Veranda, schob mit dem Lauf die kaputte Tür zurück und versuchte hineinzuspähen. Da ist dunkel, sagte er. Und Bären sind dunkel. Scheiße. Aber schließlich ging er hinein und trat schnell wieder heraus und dann langsam wieder hinein. Roy hörte nichts, so sehr raste in ihm das Blut. Er malte sich aus, wie sein Vater aus der Tür geschleudert würde, das Gewehr aus der Hand geschlagen, der Bär hinterher, und Roy dem Bären ins Auge und dann in den offenen Mund schießen müsste, perfekte Schüsse, so, wie sein Vater ihn zu zielen gelehrt hatte, wenn er mit einer .30-30 Winchester einen Bären töten wollte.
    Sein Vater kam aber unbeschadet wieder heraus und sagte, der Bär sei weg. Er hat alles zerfetzt, sagte er.
    Roy sah sich im Haus um, seine Augen brauchten ein paar Minuten, aber dann sah er das zerfetzte Bettzeug und das Essen überall und das zerlegte Funkgerät und Teile des Ofens. Alles kaputt. Er sah nichts, was noch ganz war, und ihm entging nicht, dass sie eine sehr lange Zeit nur dies zum Leben hatten. Sie konnten auch niemanden anrufen, und sie hatten keinen anderen Platz zum Schlafen.
    Ich geh hinterher, sagte sein Vater.
    Was?
    Es bringt nichts, alles aufzuräumen, wenn er noch da draußen ist und es einfach wieder machen kann. Und sicher ist das für uns vielleicht auch nicht. Vielleicht kommt er nachts zurück und will noch mehr fressen.
    Aber es ist spät, und er könnte sonstwo sein, und wir müssen essen und überlegen, wo wir schlafen und . . . Roy wusste nicht weiter. Sein Vater redete Unsinn.
    Du kannst hierbleiben und aufräumen, sagte sein Vater. Und ich bin zurück, wenn ich den Bären erledigt habe.
    Ich soll alleine hierbleiben?
    Das wird schon. Du hast dein Gewehr, und sowieso bin ich ja hinter dem Bären her.
    Das gefällt mir nicht, sagte Roy.
    Mir auch nicht. Und sein Vater machte sich auf. Roy stand auf der Veranda, sah ihn den Pfad hinaufgehen und konnte es nicht fassen. Er hatte Angst und fing laut zu reden an: Wie kannst du mich einfach so alleine lassen? Ich habe nichts zu essen, und ich weiß nicht, wann du zurückkommst.
    Er wurde panisch. So lief er ums Haus herum und wollte seine Mutter und seine Schwester und seine Freunde und alles, was er zurückgelassen hatte, bis er so sehr fror und so großen Hunger hatte, dass er hineinging und die Schlafsäcke untersuchte, um zu sehen, ob noch irgendetwas zu gebrauchen war.
    Der Schlafsack seines Vaters war noch ganz in Ordnung. Er hatte nur ein paar kleine Risse. Seiner aber war als eine Art Spielzeug benutzt worden. Die obere Hälfte war zerpflückt und das Futter im ganzen Zimmer verstreut. Die untere Hälfte konnte er wohl noch benutzen, dachte er, aber der Rest ließ sich unmöglich
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