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Im Schatten des Elefanten

Im Schatten des Elefanten

Titel: Im Schatten des Elefanten
Autoren: Elio Vittorini
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Glas aufs neue zu füllen, aber meine Mutter hält ihn zurück. »Es ist unnütz«, sagt sie zu ihm. »Er findet nicht den Genuß daran, den er an Wasser findet.« »Wahrhafig?« ruf der Gast aus.
    »Wahrhafig«, sagt meine Mutter zu ihm. »Wein kann er ein Glasvoll trinken, während er Wasser einen Eimervoll trinken kann …«
    Der Gast aber ist sofort überzeugt. Er betrachtet unseren Alten. »Das verstehe ich«, sagt er zu ihm. »Ihr könnt schon im Wasser das lieben, was wir, um es zu lieben, im Wein finden müssen. Einer wie Ihr geht zum Brunnen und schöpf und ist dort oder an einer kleinen Quelle glücklich, wie wir es hingegen nur am Schanktisch einer Kneipe sein können.«
    Er sagt »ihr« und »wir«. Teilt er die Menschen ein in zweierlei? Ich frage mich, wie weit er wohl in dieser Einteilung zurückgeht. Bis auf zweierlei Ursprung gar? Nein, – wo er doch von vielen Dingen, die auch die unseren sind, als den seinen gesprochen hat.
    Aber mit jenem »wir« spricht er von sich und zugleich von der Hälfe der Menschen: von sich und vom Mann meiner Mutter, – »blonde Schwächlinge«, die Eimer hinund hertragen, die ein »nichts« zu hören bekommen bei allem, was sie auch tun, – ein »nichts« bei allem, was sie sagen, und die einander nicht beachten und untereinander nie Freundschaften anknüpfen, weil sie schon von jeher verbunden sind in ihrer Freundschaf, die vom Weine stammt.
    »Ta«, – der eine stößt mit dem Glas an das des
anderen, und sie bieten uns jenes bekannte Schau-
spiel, das wir nicht billigen.
»Zum Wohl«, sagt der eine.
»Zum Wohl«, sagt der andere.
    Das Wohl, es ist in der Welt, die von der Sonne beschienen wird; am Brunnen ist es, wo man schöpf, in gestilltem Hunger, in schlummerverklärter Umarmung, und dieses unbekannte Wohl, das Menschen sich zu wünschen vermögen, die doch sind wie wir, – es flößt uns immer einen gelinden Schrecken ein. Was wünschen sie sich? Von Gespenstern eingelullt und in Schlummer gewiegt zu werden?
    Bei jedem Glas sehen wir sie so, als glitten sie ab – einer unterirdischen Welt entgegen. Aber wir wissen nicht, was uns den größeren Schrecken einjagt: zu sehen, daß sie da hinabzugleiten vermögen, – oder an ihnen zu sehen, daß eine solche Welt existiert und daß sie so wirklich wie die andere, Hälfe der anderen ist, wie die Nacht – Hälfe des Tages. »Dem Herrn hier zum Wohle«, sagt unser Gast. Ich möchte ihn zurückhalten, – wenigstens ihn. Ob sein Frieren vorbeigeht? Ein Wärmegespenst wird ihn schon einmummen. Und doch möchte ich nicht, daß er hinabverschwindet. Wir wollen, daß er noch bei uns bleibe. Er hatte uns einiges zu sagen. Und wir, auch die Kleinen, haben unsere Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet. Es hat einen Moment gegeben, da wir uns nicht wenig von ihm versprachen. Ob der Moment wohl vorbei ist?

    9

    Ohne es ausgetrunken zu haben, stellt er plötzlich das Glas hin, legt, um es zu verdecken, eine seiner kleinen, dunklen Hände darauf und wendet sich meiner Mutter zu.
    »Warum sagt aber Ihr, daß er ein Elefant ist?« fragt
er sie.
»Papa?« sagt meine Mutter.
»Der Herr hier«, sagt er.
    Und meine Mutter: »Natürlich. Von einem anderen habe ich es ja auch nie behauptet.«
    Und er: »Warum sagt Ihr, daß er das ist?« fragt er sie. »Des Guten wegen? Des Schlechten wegen?« Meine Mutter antwortet ihm, es sei zugleich des Guten und des Schlechten wegen, – eben deswegen, weil der Großvater gut und schlecht zugleich war, und deswegen, weil er es immer noch ist – mit seiner ganzen Körpermasse, all seinen Bedürfnissen und all dem Verdruß, den er uns bereiten kann.
    »Ja«, sagt der Gast.
    Aber er läßt meine Mutter fortfahren, – sie wiederholt nun die übliche Geschichte vom Großvater: was der Großvater alles vollbringen konnte und wo überall der Großvater gearbeitet hat: am Frejus, am Simplon, an den Palästen des Cordusio, an der Kuppel der Galerie, an der Kultivierung ferraresischen Bodens, an den eisernen Brücken des Po [und am Dome? und an den Pyramiden?]; nur daß sie sich nicht so wie uns gegenüber erhitzt und nicht in der Ausdrucksweise entgleist, – beinahe darauf bedacht, nicht zur wortführenden Person zu werden, wo sie nun doch zuhören will; und bei jedem Satz von ihr sagt der Gast: »Ja«.
    »Und Ihr wißt über die Elefanten genau Bescheid?« fragt sie dann der Gast.
    Freilich weiß meine Mutter genau Bescheid: spricht sie zum Beispiel vom Großvater, der seinen Oberkörper entblößt
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