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Im Schatten des Elefanten

Im Schatten des Elefanten

Titel: Im Schatten des Elefanten
Autoren: Elio Vittorini
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hatte, – so sagt sie, daß seine Haut – selbst nach stärkstem Schweißausbruch – immer gleich trocken wurde …
    »Habt Ihr bemerkt, was für eine Geduld sie haben«, sagt der Gast zu ihr.
    »Ihr stört sie, Ihr reizt sie mit albernen Scherzen, oder Ihr kitzelt sie in den Ohren, – und sie schauen Euch einfach an. Die Fliege, die Ihr seid, die schütteln sie mit einer Gebärde von sich, und dann schauen sie Euch einfach an! Nicht etwa heben sie Euch hoch und schleudern Euch weg.«
    Meine Mutter antwortet, hochgehoben und weggeschleudert habe der Großvater auch schon. Sie selber hat er, einoder zweimal, hochgehoben und weggeschleudert.
    »Das ist halt ihr Zorn«, sagt der Gast. »Habt Ihr bemerkt, wie der in Wirklichkeit ist? Nie trif er den, der ihn eigentlich verursacht hat, – Umstehende trif er, das Drumherum, – und zwar nicht etwa, weil sie einen Hang zur Ungerechtigkeit hätten, sondern weil sie es lieben, sich zu mäßigen, und bei der Ungerechtigkeit mäßigen sie sich. Wehe, – sie stürzten sich auf den Richtigen! Und wenn er Euch einoder zweimal hochgehoben und weggeschleudert hat, so dürf Ihr gewiß sein, daß die Schuld eher woanders lag.«
    Meine Mutter antwortet, sie wisse es nicht. Lächelt, könnte berichten, – es sind ihr aber zuviel Kinder dabei, und dann hat sie keine Lust, die Rede auf sich zu bringen.
    Der Gast geht auf das Lächeln meiner Mutter ein. »Was soll’s bedeuten?« sagt er. »Noch nie war ein Vater sich ganz darüber im klaren, ob und wieso etwas Schlimmes dabei ist, auch wenn ein Mädchen dergleichen tut, – oder ob es nicht schlimmer ist, daß die Leute Bestrafung dafür erwarten.«
    Der Mann meiner Mutter ruf hier den Gast an. Er will, daß er sich mit ihm um den Wein geselle. Er soll nicht abrücken. Und sein Stöhnen kommt aus dem Wein. »Wie? Wie? Was will meine Witwe getan haben?«
    Nachdem er das Glas aufgedeckt und an die Lippen gebracht, nimmt der Gast einen Schluck, – um gerade nur anzudeuten, daß er ihm noch Gesellschaf leiste. Er schenkt sich wieder aus der Strohflasche ein, dann fällt seine kleine Hand auf das Glas zurück wie ein Deckel.
    »Andrerseits«, so fährt er im Gespräch mit meiner Mutter fort, »solltet Ihr Euch fragen, ob Ihr nicht irgendeinmal etwas wirklich Schlimmes getan habt, wenn er jemanden hochhob und wegschleuderte, – jemanden zu Eurer Rechten oder Linken, der ihm im Wege war.«
    Abermals ruf der Mann meiner Mutter den Gast an. »Wen?« sagt er zu ihm. Er will nicht allein sein im Weine.
    Und sein Stöhnen kommt tief aus dem Brunnen des Weines. »Wozu verliert Ihr Zeit mit meiner Witwe? Nie wird sie es eingestehen …«
    Er ruf den Gefährten zurück zu dem, was sie verband. »Ihr habt mir eingeschenkt, und jetzt schenkt Ihr mir nicht mehr ein. Muß ich mir selber einschenken?« Er packt die Strohflasche und kehrt ihren Hals nach unten, ins eigene Glas hinein.
    »Mach du mir keine Flecken auf die Tischdecke«, schreit ihn meine Mutter an.
    »Nimm du sie doch weg«, antwortet ihr der Gatte. Ja, er hebt selber die Tischdecke auf seiner Seite hoch, und bedachtsam – wie man es nie von den Säufern erwartet und wie sie es dennoch stets tun – nimmt er die Sachen, Stück für Stück, vom Kopfende des Tisches, wo er und der Gast zu beiden Seiten des Großvaters sitzen, – und stellt sie, Stück für Stück, aufs blanke Holz; dabei schubst er den freigemachten Teil der Tischdecke immer mehr nach der anderen Seite des Tisches. »Meine Witwe wird nur sagen«, so stöhnt er indessen, »daß es meine Schuld war. Und nie wird sie es eingestehen. Nie«, wiederholt er mehrmals, während er Dinge von der Tischdecke aufs blanke Holz stellt.
    »Oh, niemals!« Er wiederholt es mit singender Stimme.
    »Und Papa?« schreit meine Mutter ihn an. »Siehst du nicht, daß es ihm nicht behagt?«
    In Großvaters Händen und Bart regt sich der Ärger. Er beobachtet, was der Mann meiner Mutter da vor ihm macht, und ärgerlich befühlt er das blanke Holz, worauf jetzt sein Teller steht, mit den heißen Maronen.
    Er hat nicht mehr um sich geguckt, seit man ihm den Teller mit Maronen vorgesetzt hatte. Hielt die tastenden Hände darüber und griff eine Marone, schälte sie tastend, führte sie zum Munde; dann griff er eine weitere Marone, schälte sie, führte sie zum Munde; ebenso eine dritte, zuweilen auch eine vierte, – und dann, als er deren drei oder vier zusammen im Munde hatte, widmete er sich für einige Minuten dem Kauen.
    Jetzt aber guckt er
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