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Im Schatten der Pineta

Im Schatten der Pineta

Titel: Im Schatten der Pineta
Autoren: Marco Malvaldi
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ich auf die erste Ungereimtheit. Weder Pigi noch Messa hatten ein Alibi für die fragliche Nacht. Messa, um genau zu sein, hatte eins, wollte jedoch zunächst nicht damit herausrücken. Beides passte irgendwie nicht mit der von mir vermuteten Absicht des Mörders zusammen, einen Mord so früh wie möglich ans Tageslicht zu bringen, den man ausgerechnet in dem Zeitraum begangen hatte, für den man kein Alibi vorweisen konnte, nämlich zwischen elf und eins. Zweitens, die beiden Tatverdächtigen. Einer hatte kein Alibi, aber auch kein einleuchtendes Tatmotiv. Der andere hätte möglicherweise ein Motiv gehabt, hatte aber ein wasserdichtes Alibi für die Tatzeit, wie sich später herausstellte. Einer hatte kein Motiv, der andere keine Gelegenheit. Um es kurz zu machen, es ging nicht auf. Weiß jemand, was ein Axiom ist?«
    Der Senat verharrte in Schweigen.
    »Hab ich mir gedacht. Ein Axiom ist eine Behauptung, von der man annimmt, dass sie wahr ist, weil man sie für offensichtlich hält, und die den Ausgangspunkt für die Konstruktion eines mathematischen Systems bildet. Jedes mathematische oder logische System gründet sich auf Axiome. Übrigens ist es auch völlig unmöglich, die Gültigkeit oder Kohärenz solcher Axiome erschöpfend zu erforschen, wie Kurt Gödel in den Dreißigerjahren gezeigt hat. Gödel bewies, dass jedem kohärenten mathematischen System, also einem System, das keine Widersprüche enthält, immer wahre Behauptungen zugrunde liegen, die nicht aus dem Systems selbst heraus bewiesen werden können.«
    Massimo nahm einen tiefen Zug von der Zigarette.
    »Wann immer ich ein solches System aufstelle, muss ich also zwangsläufig von der Gültigkeit gewisser Behauptungen ausgehen, ohne sie beweisen zu können. Zumindest gilt das für die Mathematik. Im richtigen Leben hingegen ist es so, dass man sich bewusst oder unbewusst auf gewisse Annahmen stützt, ohne auf die Idee zu kommen, sie beweisen zu wollen. So könnte ein solches Axiom jemanden glauben machen, dass die Fernsehnachrichten oder der Pfarrer oder die Partei, der man angehört, immer die Wahrheit sagen. Ein paar von euch werden sich an den Witz mit der Unità und den fliegenden Krokodilen erinnern. Ich habe immer gedacht, dass meine Exfrau mir die Wahrheit sagt, und es war eine herbe Enttäuschung für mich, als ich entdeckte, dass dem nicht so war.«
    Ampelio brummte vor sich hin. Wahrscheinlich dachte er allerdings eher an die Krokodile als an Massimos Verflossene.
    »Also, rekapitulieren wir: Wenn bei der Rekonstruktion von Fakten etwas herauskommt, was nicht aufgeht, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Erstens , ich habe einen Denkfehler gemacht. Zweitens , ich habe keinen Denkfehler gemacht, sondern mindestens eine meiner Grundannahmen ist falsch. Und welche war im vorliegenden Fall die falsche Annahme, der ich auf den Leim gegangen bin?«
    Effekthascherische Pause.
    »Die Antwort liegt jetzt auf der Hand. Die Annahme, die mich irregeführt hat, war die: Die Polizei, und alle Verantwortlichen im Allgemeinen, die mit den Ermittlungen zu tun haben, sagen die Wahrheit. Und dieses Axiom ließ mich etwas als wahr voraussetzen, was in Wirklichkeit falsch war: nämlich dass Alina Costa zwischen elf und ein Uhr nachts ermordet worden sei.«
    Erneute Pause, ein Schluck Tee.
    »Womöglich haben mich diese Gesundheitslatschen unwillkürlich an Krankenhausärzte denken lassen, ich habe keine Ahnung. Jedenfalls fiel mein Blick plötzlich auf den Barhocker, auf dem kurz zuvor noch Dr. Carli gesessen hatte, und ich dachte: Ja, der Dottore ist auch groß. Ziemlich groß sogar, an die zwei Meter. Ich weiß nicht mehr genau, in welcher Reihenfolge ich dann was gedacht habe, jedenfalls spielte die Tatsache eine Rolle, dass ich seit einer geschlagenen Stunde beim Fünfer-Briscola gesessen und das Blaue vom Himmel gelogen hatte, um Großvater Ampelio weiszumachen, dass ich mit ihm zusammenspielte, während das doch überhaupt nicht stimmte. Kurz und gut, ich war vollends zufrieden, dass es mir gelungen war, ihn gründlich hinters Licht zu führen, als mir plötzlich in den Sinn kam, dass Dottor Carli außergewöhnlich groß ist. Und so hat alles angefangen.«
    Pause, Zug an der Zigarette.
    »Mir ist also, ohne dass ich einen bestimmten Grund gehabt hätte, einiges durch den Kopf gegangen. Als Nächstes zum Beispiel, dass der Dottore den ungefähren Todeszeitpunkt des Mädchens bestimmt hatte, rein zufällig ein Zeitfenster, für das er selbst ein Alibi hatte,
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