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Im Schatten der Pineta

Im Schatten der Pineta

Titel: Im Schatten der Pineta
Autoren: Marco Malvaldi
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gelassen mit dem Rücken an der Theke und aß ein Hörnchen: Es war Anfang September und die Saison so gut wie gelaufen. Inzwischen bestand die Kundschaft morgens fast nur noch aus Einheimischen, und die wollten keinen Kaffee, sondern eine Geschichte, und daher war es zwecklos, so zu tun, als wäre er nur ein einfacher Barista. Also stand er mitten unter den Alten, die zusammen mit weiteren Gästen an seinen Lippen hingen, als hätten sie ihn mit ihren eigenen Händen erschaffen, diesen klugen Kopf, der fähig war, ein derart heilloses Durcheinander zu entwirren.
    »Aber jetzt solltest du ihnen auch erzählen, wie du es angestellt hast«, sagte Ampelio, der seinen Stolz nicht verhehlen konnte, wohl zum dritten oder vierten Mal an diesem Tag.
    Woraufhin Massimo fügsam und selbstbewusst von vorn zu erzählen begann – für jene, die die Geschichte nicht von Anfang an mitbekommen hatten. Er berichtete, wie Okay ihm gesagt hatte, um wie viel Uhr ungefähr der Täter die Leiche des unglücklichen Mädchens in den Müllcontainer gesteckt haben musste; er berichtete, wie er darauf gekommen war, dass der Mörder sehr groß sein musste, und wie sein Verdacht zunächst auf Pigi gefallen war.
    »Übrigens war das Alibi, das der arme Pigi der Polizei angegeben hatte, richtig. Der Sohn des Apothekers von San Piero, mit dem er befreundet ist, hat mir gesagt, er hätte ihm ungefähr zwischen Mitternacht und halb eins eine Schachtel Imodium verkauft. Nur klang Pigis Geschichte anfangs so lächerlich, dass niemand ihm geglaubt hat.«
    Und so kam Massimo schließlich, nachdem er auch von dem einen oder anderen Besuch bei Fusco berichtet hatte, bei jenem schicksalsträchtigen Moment an, bei der Katharsis. Der des Verstandes, nicht der Pigis, von dem er gerade gesprochen hatte.
    »Als Pilade bei der Briscola bemerkte, dass Großvater in Pantoffeln aus dem Haus gegangen ist, fiel mir ein, dass auch Alina Hausschuhe anhatte, als sie ermordet wurde, zumindest hatte sie welche an, als man ihre Leiche fand. Nicht Badelatschen oder welche aus Plüsch, wie die Zeitungen geschrieben hatten, sondern ein Paar weiße orthopädische Holzpantoletten, solche, wie sie die Ärzte in den Krankenhäusern tragen. Jedenfalls Schuhe, in denen man normalerweise nicht aus dem Haus geht. Also dachte ich mir, dass sie zu Hause gewesen sein musste, als sie ermordet wurde, aber dass das nicht möglich sein konnte, weil sie doch zwischen elf und eins ermordet wurde, und in diesem Zeitraum konnte sie nicht zu Hause gewesen sein, weil … Kurz und gut, ich hab mich ein bisschen ablenken lassen, den Blick schweifen lassen … und plötzlich blieb er an dem Hocker vor dem Tresen hängen.«
    Effekthascherische Pause, Zigarette, die sich scheinbar von selbst anzündete – er musste an diesem Morgen schon an die vierzig geraucht haben, aber egal. Jetzt kam er zum entscheidenden Punkt, dem Punkt, an dem er sich tatsächlich wie Poirot gefühlt hatte, der mit einem Mal alles glasklar durchschaut: Mit leichtem Kopf, ohne sich das Gehirn zu zermartern, hatte er etwas erkannt, was er die ganze Zeit schon vor Augen gehabt und trotzdem nicht gesehen hatte.
    Auch Dr. Carli war sehr groß.

    »In dieser ganzen Geschichte gab es gewisse Dinge, auf die ich mir keinen Reim machen konnte, und zwar vom ersten Moment an, da ich in den Fall hineingetappt war. Ich begebe mich um fünf Uhr morgens auf einen Parkplatz, darauf gefasst, einem sternhagelvollen Halbwüchsigen den Unterschied zwischen einer aufblasbaren Puppe und einer Frau aus Fleisch und Blut erklären zu müssen, und finde mich vor einem Müllcontainer wieder, aus dem der Kopf eines jungen Mädchens ragt. Um es klarzustellen: Ich habe nicht etwa das Blinken einer Stiefelschnalle gesehen oder etwas in der Art, nein, ich habe geradewegs in ein menschliches Gesicht geblickt. Wer immer das Mädchen in den Container gelegt hat, war entweder so in Eile, dass er keine Zeit damit verloren hat, sie gut zu verbergen, oder er hat sie absichtlich auf diese Weise so hindrapiert. Die Tatsache, dass der Mörder das Risiko einging, auf einem öffentlichen Parkplatz eine Leiche in einem Müllcontainer zu entsorgen, und zwar so nachlässig, dass sie für jedermann sichtbar war, hat mich ein bisschen stutzig gemacht. Doch wenn es Absicht war, bedeutete es, dass er wollte, dass man sie so früh wie möglich entdeckte. Könnt ihr mir folgen?«
    Die Köpfe der Umstehenden nickten.
    »Davon ausgehend, dass der Mörder genau das wollte, stieß
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