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Im Schatten der Pineta

Im Schatten der Pineta

Titel: Im Schatten der Pineta
Autoren: Marco Malvaldi
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einigermaßen jedenfalls. Und auch um wach zu bleiben, was nicht ganz einfach war.
    »Jetzt muss ich auch noch pissen. Was soll denn das? Ausgerechnet jetzt. Na ja. Muss wohl sein.«
    Während er dieses Selbstgespräch führte, ging er auf einen der Müllcontainer zu.
    In der Nacht zuvor hatte es geregnet, und der Boden des Parkplatzes war trotz der Hitze noch schlammig. Er bemühte sich, den Pfützen auszuweichen, und nachdem er einigermaßen unversehrt beim Container angekommen war, wählte er ihn in einem kurzen mentalen Zwiegespräch als Pissoir aus.
    Als es ihm nach einer gefühlten Ewigkeit endlich gelungen war, den Reißverschluss wieder hochzuziehen, bemerkte er, dass in dem Container ein Mädchen lag. Ein hübsches noch dazu. Ungefähr im selben Moment sagte ihm irgendetwas, dass sie tot sein musste. Und das erstaunte ihn zunächst nicht weiter. Im Gegenteil, in einer hartnäckigen Trägheit befangen, die ihn immer nur in Verbindung mit Alkohol befiel, begann er laut nachzudenken. Die Entdeckung hatte ihn keineswegs, wie Krimis einen immer glauben machen wollen, mit einem Schlag nüchtern gemacht.
    »Kenn ich die? Ne, glaub nich. Muss die Bullen verständigen. Ich geh mal zum Wagen zurück und hol’s Handy.«
    Das tat er, nur um zu bemerken, dass der Akku leer war.
    »Heilige Kuhscheiße, muss das jetzt sein? Unn was jetz?«
    Der Junge blickte sich um, als suchte er nach jemandem, der ihm die Antwort liefern könnte.
    »Wart mal! Auf’m Weg hab ich doch ’ne Bar gesehen, die war offen. Tief durchatmen, dann geht’s schon wieder. Muss mich konzentrieren, damit dieses Drehen endlich aufhört, sonst komm ich da nie an.«

    Bevor er sich in den Wagen setzte, streckte er die geöffneten Hände vor sich aus und konzentrierte sich weitere zwei, drei Minuten. Komischerweise fühlte er sich jetzt leichter: Er hatte eine Heidenangst gehabt, zu dieser Uhrzeit und in diesem Zustand nach Hause zu kommen, doch die Entdeckung der Leiche würde sowohl seine Verspätung als auch seinen Alkoholpegel erklären, schließlich hat man, wenn man eine Tote findet, das Recht auf eine Stärkung, oder etwa nicht? Ergo, wenigstens die Angst war verflogen.
    »Siehste, geht doch. Und jetzt ganz ruhig einfach der gestrichelten weißen Linie nachfahren, dann kann gar nichts mehr schiefgehen.«
    Nach einer weiteren Angstminute erreichte er tatsächlich sein Ziel. Er schälte sich aus dem Wagen und ging auf die Bar zu. Reiß dich zusammen, forderte er sich im Geiste auf. Er drückte die Klinke der Glastür herunter und trat ein. Hinter dem Tresen trocknete der Barista Gläser ab und räumte sie weg. Er sah ihn neugierig an. Der junge Mann bemühte sich lächelnd um Haltung, was seinen Zustand noch unterstrich, und fragte, immer noch lächelnd: »Tschuldigung, gibt’s hier ’n Telefon?«
    »Da drüben, hinter der Eistheke.«
    Der Junge machte ein paar Schritte, doch dann ließ eine innere Stimme ihn innehalten. Er hob den Zeigefinger und sagte: »Ich muss doch wohl nichts bestellen, oder?«
    »Nicht nötig, das Telefon funktioniert auch so«, sagte der Barista.
    Der Junge trat an den Apparat, wählte und sagte: »Hallo, ist da die 113? Hören Sie, ich wollte Ihnen Bescheid sagen, dass ich eine Leiche gefunden hab, eine tote junge Frau, in einem Müllcontainer; die ist wirklich tot, da bin ich mir sicher.«
    Kurze Pause.
    »Aber ja, auf dem Parkplatz des Pinienwäldchens, wo die Deutschen immer Picknick machen, aber das Mädchen ist Italienerin, jedenfalls hat sie dunkle Haut.« – »Ja, in einem Müllcontainer. Dem grauen neben dem Camperparkplatz, wo immer die Deutschen stehen.« – »Ja, um Picknick zu machen.« – »Weiß ich selbst, dass ich betrunken bin, aber glauben Sie mir, es stimmt! Also wirk… entschuldigen Sie, aber Sie sind vielleicht schwer von Begriff! Wie gesagt …«
    Stille.
    Der Junge schwieg und starrte einen Augenblick lang den Hörer an.
    »Der hat einfach aufgelegt«, verkündete er ungläubig und ein wenig gekränkt.
    Unterdessen war der Barista hinter dem Tresen hervorgekommen und betrachtete ihn mit einer Mischung aus Erstaunen und Ernst.
    »Und da liegt tatsächlich eine Leiche?«
    »Herrgott noch mal, ja. Sie ist auf dem Parkplatz des Pinienwäldchens, da wo …«
    »Ja, ja, ich weiß. Komm, lass uns hinfahren. Du zeigst mir, wo du sie gesehen hast, und ich rufe die Polizei an.«
    Der Barista nahm die Zigarettenpackung vom Tresen, steckte sich eine an und blickte auf die Uhr, dann verließ er, gefolgt
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