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Im Schatten der Königin: Roman

Im Schatten der Königin: Roman

Titel: Im Schatten der Königin: Roman
Autoren: Tanja Kinkel
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hat ihn um Gnade und ihr Leben gebeten?«, fragte Elizabeth mich, und ich wusste, dass sie von ihren Eltern sprach.
    »Nein, Madam«, sagte ich leise, und allmählich dämmerte mir, worauf sie hinauswollte und was sie befürchtet hatte. »Sie hat auf ihrer Unschuld bestanden, aber mit ihren letzten Worten auch Eurem Vater die Treue seines Volkes und ein langes Leben gewünscht.«
    »Kitty Howard hat ihn um Gnade angefleht«, sagte sie. »Das habe ich selbst gehört. Du hast es gehört. Robin hat es gehört. Wir hörten sie alle schreien, damals auf der Galerie. Schreien um ihr Leben. Aber er hat ihr Todesurteil unterschrieben. Er hat es vollstrecken lassen. Es gibt so viele Uhren in all unseren Palästen; er muss auf sie geblickt und gewusst haben, dass er sie immer noch retten konnte, durch einen einzigen Federstrich retten. Aber er hat es nicht getan. Als ich auf den Thron kam, Kat, da dachte ich, das Schlimmste, was mir je geschehen könnte, sei das, was meiner Schwester Mary geschehen ist: Mit der Liebe meines Volkes beginnen und sie dann wieder verlieren, das Land schlimmer hinterlassen, als ich es vorgefunden habe, und einsam und verhasst zu sterben. Aber als mir Robin sagte, seine Gemahlin sei tot, da wusste ich, dass es da noch etwas gibt, etwas, was genauso furchtbar ist, und bis du den Boten mit seinem Brief zu mir gebracht hast …«
    Ihr Blick fiel auf den Brief, der geöffnet auf ihrem kleinen Schreibtisch lag, und sie nahm ihn wieder an sich, faltete ihn zusammen, öffnete ihn erneut und presste dann ihre Handflächen von beiden Seiten gegen ihn, wie im Gebet.
    »Oberhaupt der Kirche, Quell der Gerechtigkeit, einziger Herrscher in diesem Land«, sagte sie. »Für meinen Vater hat es letztendlich bedeutet, zu töten, wen er vorher liebte. Und ich bin seine Tochter.«
    Es lag mir auf der Zunge, zu protestieren, dass es zu so etwas nie gekommen wäre. Robin Dudley hätte sich gewiss noch in der gleichen Nacht auf den Weg nach Frankreich oder zu den gottlosen Schotten gemacht, wenn er den Bescheid erhalten hätte, dass ihm eine Anklage wegen Mordes drohe. Aber als lese sie meine Gedanken, sah sie mich an und schüttelte den Kopf.
    »Robin hätte mich auf die Probe gestellt«, sagte sie. »Er hätte um die Begnadigung gebeten. Ich kenne ihn, und er kennt die Gefangenschaft und das machtlose Flüchtlingsdasein. Er hätte alles aufs Spiel gesetzt und wäre hiergeblieben.«
    Wenn sie Robin Dudley begnadigt hätte, nachdem er für schuldig befunden worden war, dann hätten sich die Menschen nicht mehr damit begnügt, darüber zu klatschen, ob sie nun – wie die junge Königin der Schotten und Franzosen so höhnisch behauptet hatte – »ihren Stallmeister heiraten würde, der seine Frau getötet hat, um Platz in seinem Bett zu schaffen«. Nein, man hätte angefangen, auch Elizabeth eine Mörderin zu nennen, der Adel hätte sich hinter Mary Stuart oder einer der noch lebenden Grey-Schwestern versammelt, oder sogar der Gräfin Lennox und ihrem Sohn, und sich erhoben. Das hatte ich von Anfang an als Ausgang befürchtet, doch bei all meinen Ängsten und Sorgen darüber, wie ich mein Mädchen beschützen könnte, war mir nie in den Sinn gekommen, was sie zu tun bereit wäre, um sich selbst zu schützen. Und was es für sie bedeutete, wirklich dazu imstande zu sein.
    »Hättet Ihr …«, begann ich zögernd.
    Sie breitete ihre Arme aus, und das Blatt mit seiner befreienden Nachricht fiel zu Boden.
    »Ich weiß es nicht«, sagte sie, und ihre Stimme brach ein wenig. »Aber ich weiß drei Dinge, Kat. Niemand in diesem Land ist besser als ich darin, zu überleben, alles und jede Gefahr zu überleben. Den Menschen zu töten, den man liebt, bedeutet den Tod im Herzen, und was dann noch bleibt, ist ein allmählich verrottender Leichnam auf dem Thron, nicht mehr des Lebens wert. Und drittens weiß ich dies: Dieser Kelch ist noch einmal an mir vorübergegangen. Robin lebt, ich lebe, und bei Gott, allmählich werden die Menschen in diesem Land begreifen, dass eine Frau herrschen, ehelos bleiben und dennoch eine Frau sein kann!«
    Sie ballte die Fäuste und fuhr sich mit den Handrücken über ihre Wangen, um sich die Tränenspuren von der Haut zu wischen. Das hatte sie nicht mehr getan, seit sie ein kleines Kind gewesen war, und etwas in mir löste sich und wollte glauben, dass die Zukunft, wie sie sich wünschte, wirklich geschehen würde, all meine Sorge umsonst war und ihre eigenen Alpträume niemals wahr
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