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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators
Autoren: Lisa Moore
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Ratschläge zuzurufen. Schließlich trat ein Mann im Tweedmantel vor, hob Colleen aus dem Einkaufswagen und befreite diesen mit einem einfachen Handgriff.
    Die Frau im Rollstuhl schrie Beverly an: Du Stück Scheiße! In ihren Augen stand blanker Hass, der ihre Mutter, wie Colleen merkte, im Innersten traf.
    Dann wendete die Frau mit einer Reihe geschickter, ruckartiger Bewegungen ihren Rollstuhl und sauste durch den Gang davon, fuhr Schlenker um andere Kunden und rammte schließlich das Aqua-Velva-Arrangement, sodass die oberen Schachteln eine nach der anderen wie in Zeitlupe herunterglitten und dumpf auf dem Boden aufschlugen, bis sich der gesamte Turm neigte und auseinanderfiel. Der Mann im Tweedmantel zog seinen Handschuh aus und reichte Beverly die Hand.
    Sie sind wirklich ein Engel, sagte sie.
    Sie schloss die Augen, legte sich die zitternden Hände über die Ohren, strich sich das Haar glatt. So stand sie da, die Augen geschlossen, die Hände am Kopf, während die Wut der Frau noch in ihr nachwirkte.
    Und das an Weihnachten, flüsterte sie. Dann öffnete sie die Augen und war wiederhergestellt. Sie besaß die Fähigkeit, sich mühelos zu regenerieren. Gerade noch kurz vor dem Zusammenbruch, konnte sie im nächsten Moment pure Heiterkeit ausstrahlen.
    Die Leute sollten wirklich besser aufpassen, sagte sie.
    Ich wollte eigentlich nur eine Mikrowelle kaufen, platzte der Mann heraus. Was immer du willst, hab ich zu meiner Frau gesagt. Aber in diesem ganzen gottverdammten Einkaufszentrum gibt es weit und breit keine Mikrowelle.
    Es sind einfach alle gestresst, sagte Beverly. Sie hob die Hände, um den Mann auf das weihnachtliche Schlachtfeld hinzuweisen, das sie umgab. Der Mann schaute sich um. Dann bleckte er die Zähne zur Karikatur eines fröhlichen Lächelns.
    Wenn es nach mir ginge, gäbe es kein Weihnachten, sagte der Mann.
    Das sehe ich genauso, sagte Beverly. Lieber eine private, stille Feier des Lebens. Die Bemerkung verwirrte den Mann.
    Also, ich denke ja eher an eine Spülmaschine, sagte er zaghaft. Das war meine Vorstellung, aber meine Frau hat gesagt, eine Mikrowelle.
    Spülmaschine oder Mikrowelle, das kommt aufs gleiche heraus, verkündete Beverly.
    Eine richtig schöne Spülmaschine, sagte der Mann.
    Ist sie Vollzeitmutter? Beverly verspürte eine gewisse Verachtung gegenüber Frauen, die ihren Beruf unter dem Vorwand aufgaben, ihre Kinder großziehen zu müssen, wo doch die meisten normalen Menschen beides hinkriegten, aber sie hatte ein schlechtes Gewissen wegen dieser Ansicht und schützte deshalb oft Neid vor.
    Nicht einen Tag hat sie gearbeitet in ihrem Leben, sagte der Mann stolz.
    Ich sag’s Ihnen, eine Spülmaschine.
    Eine Spülmaschine würde sie bestimmt freuen, sagte er.
    Stellen Sie sich vor, was für ein Gesicht sie machen wird, wenn sie die sieht.
    Colleen spazierte zu den Aqua-Velva-Schachteln hinüber und hob eine auf. Sie waren rot und mit Stechpalmenzweigen bedruckt und hatten ein Plastikfenster, durch das man die Flakons mit dem Rasierwasser sah. Jeder Flakon hatte eine andere Farbe: türkis, dunkelgrün, marineblau und rostrot. Und in jedem waberte eine längliche Blase zum Deckel hin. Als sie die Schachtel schüttelte, hüpften die Blasen wie verrückt und zersprangen in tausend winzige Kügelchen, die wie Schaum zum Flaschenhals hinaufstiegen und sich dann allmählich wieder zu einer einzigen Blase vereinten. Sie versuchte die Blasen genau in die Mitte der Flakons zu bugsieren. Es war das perfekte Geschenk für David. Eins stand fest: So etwas hatte er noch nicht. Soviel sie wusste, hatte er noch nie im Leben irgendeine Art von Rasierwasser verwendet.
    Colleen wartete schon seit drei Wochenenden auf den versprochenen Einkaufsbummel, denn immer wieder war etwas dazwischengekommen – ihre Mutter hatte telefoniert oder in einem Kochbuch gelesen, und wenn die absolute Hingabe, mit der sie diese Dinge tat, schließlich nachließ, war es zu spät, um noch etwas zu unternehmen. Colleen versuchte die Aufmerksamkeit ihrer Mutter durch einen gewinnenden Blick auf sich zu lenken. Oder sie flüsterte in bettelndem und zugleich vorwurfsvollem Ton Mom . Aber das provozierte Beverly nur; sie hob den Zeigefinger und wandte Colleen den Rücken zu.
    Wenn sie endlich auflegte oder das Kochbuch zuklappte, war sie noch völlig erfüllt von der Welt, in die sie eingetaucht war, von dem, was dort stattgefunden hatte, und schien keinerlei Erinnerung mehr an ihren gemeinsamen Plan zu haben. Es war
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