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Im Papierschiff bis nach Irland (German Edition)

Im Papierschiff bis nach Irland (German Edition)

Titel: Im Papierschiff bis nach Irland (German Edition)
Autoren: Gabriele Kowitz
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Schließlich steht er auf, nimmt sich
eine Tafel Schokolade und nun sinkt auch bei mir die Aggressionsschwelle. Julia
hat ihre Australienarbeit beendet und braucht Unterstützung beim Ausdrucken des
Textes. Außerdem will sie am Tisch sitzen, um ihre anderen Hausaufgaben zu
erledigen. Der ist aber noch nicht abgeräumt. „Leo, stell dein Geschirr bitte
in die Küche.“ „In der Küche ist aber kein Platz.“ Der Stau hat sich auf das
Esszimmer ausgeweitet. OK, darum kümmern wir uns besser jetzt. Ich schaffe es,
das Geschirr noch irgendwie in der Küche zu stapeln und den Tisch abzuwischen,
als Julia mault: „Ich habe keine Lust, Mathe zu machen.“ Die Küche muss doch
noch warten, ich versuche, meine Tochter zu motivieren. Da fällt mir der Helm
wieder ein. „Haben wir denn so ein Ding für meinen Fahrradständer?“ werde ich
erneut abgelenkt. Nachdem ich festgestellt habe, dass Leo einen Inbusschlüssel
braucht, schicke ich ihn zu meiner Mutter, die das passende Werkzeug hat. Da
fällt mir der Helm wieder ein. Den schnappe ich mir jetzt und gehe es an. Ich
fummele und drehe, kann nicht erkennen, wie der Bändel durch diese Schlaufe
soll, außerdem passt das dicke Band doch niemals durch die dünne Öse, ich
verbiege mir die Finger, fange an zu kochen, ganz langsam, dann mehr und noch
mehr, ich schimpfe vor mich hin, Leo bringt mir seinen Fahrradhelm als Vorlage.
Ich muss mich schwer beherrschen, nicht laut und/oder ungehalten zu werden. In
Gedanken übe ich schon heimlich Rache an den Helmen anderer Kinder, ich
schleiche mich in die Schule und löse an allen Helmen die Bänder – aber wem
hilft das schon? Ich greife zu einem kleinen Messer, mit dem ich das Band
besser durch die Öse schieben will. Meine Gedanken schweifen wieder ab: Was,
wenn ich mich jetzt mit dem Messer verletze und meine ganze Wut blutig aus
meiner Hand spritzt? Aber wem hilft das schon? Ich reiße mich wieder zusammen.
Schließlich verlange ich von meiner Tochter, dass sie künftig besser auf ihren
Helm aufpassen soll. Ich will von ihr hören, dass sie ihn mit in den
Klassenraum nimmt, damit sie ihn im Auge behalten kann. „Das dürfen wir nicht,
die Lehrerin meint, dass wir dann ein Platzproblem im Klassenraum hätten.“ So
wie ich in der Küche! „Ich bin aber nicht gewillt, den Helm noch mal wieder
zusammen zu fummeln. Ich kann das nicht. UND ICH WILL DAS NICHT!“ Meine
Verzweiflung wächst, von meiner Aggressionsschwelle will ich besser gar nicht
erst reden. Meine Geduld ist am Ende, der Helm fliegt in die Ecke. Zuletzt gebe
ich Julia Leos Fahrradhelm – er setzt ihn ohnehin fast nie auf – und schärfe
ihr nochmals ein, dass ich zu keinen weiteren Reparaturarbeiten zur Verfügung stehe.
Sie möge sich mit der Lehrerin gemeinsam eine Lösung überlegen, andernfalls
stünde bei  mir eine mittelschwere Nervenkrise bevor! BITTE!!! Und jetzt gehe
ich in die Küche, mache die Türe hinter mir zu und räume auf. Doch der
Mülleimer ist voll, ich muss wieder raus, als mich die Frage „Ist meine
Lieblingsjacke schon gewaschen?“ in die Waschküche schickt. Den Mülleimer lasse
ich vorher an der Treppe stehen …

Nachts im Wandschrank
    „Mama, wir
brauchen einen Wandschrank!“, forderte meine Tochter vor einigen Tagen. „Wozu
brauchen wir denn einen Wandschrank? Wir haben genug Schränke, so dass unsere
Sachen alle Platz haben.“ „Ja, wir brauchen einen Wandschrank für schlimme
Wörter. Unsere Lehrerin hat gesagt, dass man solche Wörter nur nachts im
Wandschrank sagen darf.“ Oder hatte die Lehrerin gesagt, dass die schlimmen
Wörter nachts in den Wandschrank gehören? Ich weiß nicht mehr genau, was meine
Tochter mir erzählt hat. Grundschullehrerinnen haben meist gute Karten: Was sie
sagen, erachten die Kinder als unumstößlich richtig. Irgendwann auf der
weiterführenden Schule geht dieser Allmächtigkeitsglaube der Schüler verloren,
wendet sich ins Gegenteil. Dann haben es die Lehrer schwer – sehr schwer. Dazu
kommen wir in ein paar Jahren!
    Jetzt habe
ich in jedem Fall ein Problem, denn wir haben keinen Wandschrank. Da ich jedoch
kein Freund von Kraftausdrücken bin, schon gar nicht bei Kindern, brauche ich
nun wohl einen Wandschrank, um die schlimmen Wörter aus dem täglichen
Sprachgebrauch zu verbannen. Braucht jeder für sich einen eigenen Wandschrank?
Oder gibt es Sammelwandschränke z.B. einen für die Kinder und einen anderen für
die Erwachsenen? Was wohl der Wandschrank mit den schlimmen Wörtern macht?
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