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Im Netz der Sinnlichkeit

Im Netz der Sinnlichkeit

Titel: Im Netz der Sinnlichkeit
Autoren: Nalini Singh
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habe ich keinen Geschmack.
    Judd grinste wieder und Walker spürte, wie seine Wachsamkeit endlich nachließ. Trotz seiner tödlichen Gefährlichkeit war Judd immer Walkers jüngerer Bruder gewesen, den er beschützen musste. Doch er war nicht stark genug dafür gewesen, zu jung, um ihn damals festzuhalten, ihm die Verletzungen zu ersparen, die ihn beinahe zerbrochen hätten. Der unschuldige Junge, den Walker gekannt hatte, war hinter einer zornigen Einsamkeit verschwunden, weil er glaubte, seine Familie hätte ihn verlassen.
    Seinen Bruder nun so glücklich zu sehen war ein Geschenk. »Worüber wolltest du mit mir reden?«
    »Ich habe dir doch erzählt, dass ich Kontakt zu anderen Gardisten habe«, sagte Judd in die nächtliche Stille hinein. »Kannst du dich noch an Aden erinnern?«

3
    Walker ging in Gedanken zwei Jahrzehnte zurück zu dem Bild eines kleinen Jungen mit schräggestellten braunen Augen und seidig glänzendem schwarzem Haar, das man kurz geschoren hatte, um es zu bändigen.
    Er wirkte zerbrechlich, man sah die Knochen unter der Haut, doch der Junge hatte einen ähnlich starken Willen wie die Laurens und einen Verstand wie Walker. Er war ein Telepath, dessen Stärke man in ihrer Subtilität nicht gleich erkannt hatte. Wie Walker hatte man ihn der falschen Kategorie zugeordnet, er verfügte über weit gefährlichere Kräfte, als offiziell bekannt war.
    Adens Augen weiteten sich vor Schreck, als er begriff, dass Walker die Wahrheit erkannt hatte
. »Werden Sie mich verraten?«
Die Stimme eines Kindes, doch der Blick eines Uralten.
    »Nein.«
Er würde nie eines seiner Kinder verraten
. »Ich werde dir beibringen, deine Fähigkeiten besser zu verbergen, damit dich niemand entdeckt.«
    »Warum?«
Ganz direkt.
    »Weil du weder Schmerz noch Angst haben solltest. Dafür kann ich zwar nicht selbst sorgen, doch ich kann dir eine Waffe geben, damit du dich im Notfall verteidigen kannst.«
    »Ja, ich erinnere mich an Aden.« Er erinnerte sich an jedes Kind, das er in der Gardistenschule unterrichtet hatte, an jede Verletzung, jeden gebrochenen Knochen, dessen Zeuge er gewesen war, an jede Beschwerde, die er als frischgebackener Lehrer dem »Fürsorge tragenden« Teil der Lehrerschaft, seinen Vorgesetzten und sogar dem Rat zu Gehör gebracht hatte, ehe ihm klar geworden war, dass niemand ihm zuhörte.
    Das alles hätte ihn zerbrechen können, doch er hatte sich dagegen gewehrt, einfach aufzugeben, denn er hatte herausgefunden, dass er seinen Schützlingen geistige Waffen zur Verfügung stellen und sie sogar manchmal beschützen konnte, wenn auch nur für kurze Zeit. Mehr als einen hatte er nach den Schulstunden dabehalten – offiziell als Strafe oder zu Nachhilfestunden –, nur damit das Kind schlafen, sich ausruhen und heilen konnte, soweit es möglich war, in dem sicheren Wissen, dass niemand es aus dem Schlaf reißen und dem unsagbaren Schrecken aussetzen würde, der aus Kindern Killermaschinen machen sollte.
    Viele der Jüngsten, deren Gefühle noch nicht durch Silentium erstickt worden waren, waren weinend in seinen Armen zusammengebrochen, weil sie plötzlich ein wenig Freundlichkeit erfuhren. Er spürte immer noch die kleinen Körper, die Tränen auf seinem Hemd, das Bröckeln der Konditionierung hinter dem telepathischen Schutzwall, in dem er sie einschloss, ihnen einen kurzen Moment der Freiheit verschaffte.
    Aden hatte nie geweint, war nicht zerbrochen … und hatte nie seine Seele verloren. »Er schüttelte immer den Kopf, wenn ich versuchte, ihn nach der Schule dazubehalten.« Der Junge hatte Verletzungen erlitten, die kein Kind jemals erleiden sollte, sein Arm war sehr oft gebrochen und wieder gerichtet worden. »Ich solle lieber eines der jüngeren Kinder dabehalten, sagte er dann zu mir.«
    »Ich bin stärker. Ich werde überleben. Sie brauchen die Ruhe mehr als ich.«
    Judd sah seinen Bruder aufmerksam an. Walker sprach nur selten über seine Zeit als Lehrer der Garde, und Judd hatte ihn nie dazu gedrängt. Was er auch heute Abend nicht tat.
    »Aden hat sich nicht verändert«, sagte er. »Er führt die Garde, schützt jene, die gebrochen sind, und wacht über die Kinder.«
    Walker spürte Stolz auf den Jungen, dessen Lehrer er gewesen war.
    »Er hat mich gebeten, dir in seinem Namen zu danken«, fuhr Judd fort. »Ich soll dir sagen, dass deine Lehren ihm geholfen haben, Leben und Verstand vieler Gardisten zu retten.«
    Das bedeutete Walker viel. »Ich würde gern mit ihm sprechen, wenn er
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