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Im Namen der Gerechtigkeit - Roman

Im Namen der Gerechtigkeit - Roman

Titel: Im Namen der Gerechtigkeit - Roman
Autoren: Nagel & Kimche AG
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warum ich mich auf dieses Kuddelmuddel überhaupt eingelassen habe. Ich weiß es nicht, und ich will es auch nicht wissen. Ich habe meine Sache immer gut gemacht, Schluss aus.»
    «Manchmal reicht das aber nicht, Roberto.»
    «Und wieso nicht? Wieso?»
    «Weil das Leben nun mal so ist.»
    Mit einem ungläubigen Lächeln schüttelte Doni den Kopf.
    «Weil das Leben so ist. Na wunderbar.»
    «Hör mal, bist du dir sicher, was die Schuld dieses Mannes betrifft?»
    «Nein. Aber niemand kann sich ja mit irgendetwas sicher sein, nicht wahr?»
    Cattaneo hob die Hand, wie um zu zeigen, dass dort, direkt vor ihnen, der Schlüssel zu dem Ganzen lag. Wieder schüttelte Doni den Kopf, er spürte, wie sein Blut nach unten sackte, und zudem eine plötzliche Müdigkeit im Kopf.
    Leichte Waffen, dachte er, und sagte es laut: «Leichte Waffen.»
    «Wie bitte?»
    «Die Journalistin hat gesagt, dass jeder von uns die Waffen einsetzt, die er eben hat, leichte Waffen. Dass es keine Helden gibt.»
    Cattaneo zuckte mit den Schultern.
    «Das ist doch nichts Neues», sagte er.
    «Mag sein.»
    Sie schwiegen. Cattaneos Frau erschien im Hintergrund und verschwand in der Küche. Doni atmete durch die Nase ein und bemerkte erst jetzt einen starken Wacholdergeruch. Schließlich stand er auf und strich sich den nicht vorhandenen Staub von der Hose. Seine Zeit war um.
    «Ich muss jetzt gehen, Professore», sagte er. «Vielen Dank für die Plauderei.»
    Cattaneo sah ihn ausdruckslos von unten herauf an.
    «Nichts zu danken. Im Grunde habe ich ja nichts Brauchbares gesagt.»
    «Vielleicht musste ich mir nur etwas Luft machen.»
    Cattaneo griff ihm fest an die Schulter.
    «Es kommt der Moment, da ist es, als würde uns das pralle Leben anspringen. Für gewöhnlich geschieht das, wenn wir zwanzig sind. Manchmal auch später. Und ganz selten auch, wenn wir denken, dass nun alles vorbei ist, und wir nur noch darauf warten, in Frieden abzutreten.» Er kniff die Augen zusammen. «Es tut mir leid, Roberto.»
    Doni nickte und drückte die Hand, die auf seiner Schulter lag.
    «Ich will mich noch von deiner Frau verabschieden.»
    «Ich glaube, sie ist ausgegangen.»
    «Ach so.»
    Cattaneo brachte ihn zur Tür. Einer der Hunde lief über den Rasen auf sie zu. Es hatte aufgehört zu regnen.
    «Ich hoffe, ich komme zu einer Entscheidung, die allen gerecht wird», sagte Doni.
    «Es gibt keine Entscheidung, die allen gerecht wird», erwiderte Cattaneo. «Du musst dich für das entscheiden, was am wichtigsten ist.»
    Auf dem Rückweg hielt Doni an einer Raststätte, um zu tanken. Er nahm die Selbstbedienungsspur, obwohl er sich sonst immer von einem Tankwart helfen ließ. Er drückte die Zehn-Euro-Taste und hielt die Zapfpistole in den Einfüllstutzen.
    Während er wartete, betrachtete er die leere Landschaft um sich her, die am Horizont aufragenden Fabriktürme und die Autobahn nach Mailand. An der Kasse schmiegte sich eine kurzhaarige Frau an einen Mann. Sie wurde von Schluchzern geschüttelt und stammelte vor sich hin. «Alles wird gut», sagte der Mann zu ihr. «Alles wird gut, alles wird gut, alles wird gut.»

32
    EINMAL HATTE COLNAGHI DONI auf das Dach des Doms mitgenommen. Das musste 1978 gewesen sein. Doni erinnerte sich, dass Papst Johannes Paul I. gestorben war und dass die Männer von General Dalla Chiesa kurz zuvor in den Stützpunkt der Roten Brigaden in der Via Monte Nevoso eingedrungen waren. Die in dem Versteck gefundenen Schriftstücke Aldo Moros hatten damals für großes Aufsehen gesorgt.
    Sie waren in einem Restaurant in der Nähe der Piazza Diaz gewesen, um ein Omelett zu essen, und während sie spazieren gingen, hatte Colnaghi beiläufig gefragt: «Wollen wir der Madonnina oben einen Besuch abstatten?»
    Es war ein Samstag im Spätsommer, und nach dem Mittag war die Stadt heiß und menschenleer. Doni zuckte mit den Schultern. Er war noch nie auf dem Dach des Doms gewesen und auch nicht sonderlich erpicht darauf, doch er wollte seinem Freund das nicht abschlagen.
    Sie nahmen den Fahrstuhl und gelangten hinauf. Damals war der Dom schwarz vom Smog gewesen, doch der Himmel war sonderbar klar. Im Indigo des Horizonts sah man im Norden die Alpen und im Süden die weite Ebene. Man brauchte sich nur einmal um die eigene Achse zu drehen, um sich im Zentrum von etwas Besonderem zu fühlen, eines blühenden Ortes, an einem der sonderbarsten Plätze überhaupt.
    «Nun sieh dir das an», sagte Colnaghi und wies auf die Gipfel von Grigna und Resegone. Er
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