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Im Namen der Gerechtigkeit - Roman

Im Namen der Gerechtigkeit - Roman

Titel: Im Namen der Gerechtigkeit - Roman
Autoren: Nagel & Kimche AG
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ungesühnt bleiben, nicht die ganze Welt stand unter seinem Kommando. Irgendwo musste es ein unversehrtes Fleckchen geben, eine Verheißung von Wiedergeburt. Es musste eine lebendige Hoffnung geben. Es musste. Und jemand, der berufen war, sie zu schützen.
    Der Mann im Käfig war stehen geblieben und setzte sich zu seinem Gefährten. Der Anwalt beanstandete die Irrelevanz einiger Argumente der Anklage. Beharrlich verwies er auf ein Detail im Zusammenhang mit der Festnahme. Er schien seine Sache zu verstehen.
    Doni blieb noch einige Minuten, dann verließ er den Saal.
    Im Büro öffnete er sein Postfach. Elena hatte ihm eine Mail geschrieben, in der sie sich erkundigte, ob sie Vorsichtsmaßnahmen zu ihrer persönlichen Sicherheit ergreifen sollte und was Doni allgemein von der ganzen Situation halte. Zum Schluss stellte sie noch zwei Fragen:
    Was können Sie tun? Und was riskieren Sie?
    Doni beruhigte sie und antwortete ihr ebenso kurz:
    Etwas kann ich tun, doch ich muss erst darüber nachdenken.
    Schlimmstenfalls – oder vielleicht bestenfalls – riskiere ich viel.
    Dann setzte er sich an die Arbeit und schwor sich, dass ihm an diesem Tag kein Wort mehr über die Lippen kommen werde.
    Kurz nach sechs trat er im milden Abendlicht hinaus auf die Straße. Ein Wolkenhaufen zog nach Westen ab, ein anderer näherte sich von Osten. In der Via Pace überholte er zwei Frauen, die sich über das launische Wetter unterhielten, über einen Frühling, so alt wie die alten Frühlinge.
    Sieh, höre und dann handle.
    Nun gut. Er musste nur noch mit einem Menschen sprechen. Dann würde er handeln.

31
    ALS ER AUS MAILAND herausfuhr, begann es wieder zu regnen. Doni schaltete die Scheibenwischer ein. Der Klassiksender begann zu kratzen, dann verloren sich die Rundfunkwellen im Nichts der Provinz. Doni schaltete das Radio aus und konzentrierte sich auf die Straße. Ein Schild kündigte eine Bahnschranke in drei Kilometern Entfernung an. Die Tropfen fielen sacht auf die Scheibe. Der Sonntag war ein Leerraum, und der Staatsanwalt durchquerte ihn wie ein Fremdkörper.
    Seit Professor Cattaneo sich von der Universität zurückgezogen hatte, lebte er wieder in der Provinz Como. Er hatte sich ein Häuschen in seinem Heimatdorf gekauft und war mit seiner Frau dorthin gezogen. Sie hatten keine Kinder. Doni telefonierte einmal im Jahr mit ihm, kurz vor Weihnachten, mit den üblichen Glückwünschen. Cattaneo war sein Dozent in Strafrecht gewesen und mehr noch sein Meister, wie auch für viele andere Studenten der Mailänder Universität – auch für Colnaghi.
    Damals war Cattaneo so etwas wie ein kleines Genie gewesen. Mit sechsunddreißig Jahren war er bereits Ordinarius, und als der zwanzig Jahre jüngere Doni ihn kennenlernte, war er der Einzige an der ganzen Fakultät, der sich mit allen Mitteln sowohl den alten, despotischen Strukturen als auch dem Aufkommen der Achtundsechziger widersetzte. Die politisch motivierten Bestnoten der Linken lehnte er ebenso ab wie die falsche Würde der alten Professoren. Er wurde von Stalinisten in einen Hinterhalt gelockt und verprügelt, und man drohte ihm mit dem Ausschluss vom Lehrkörper, weil er sich an den Schreibtisch gekettet hatte.
    Er war allein gegen alle.
    Doni, der die Achtundsechziger nicht ausstehen konnte und schon damals ein überzeugter Rechtsliberaler war (im Sinne einer sozialen, antifaschistischen, republikanischen Rechten), war hellbegeistert von Cattaneos Vorlesungen. Er machte sein Diplom bei ihm und hielt auch nach dem Studium den Kontakt zu ihm aufrecht. Der Gedanke, dass es auf der Welt einen solchen Mann gab, verlieh ihm in den dunkelsten Momenten neue Kraft.
    Gewiss, er hatte Claudia, doch damals schien ihn der Beginn seiner Karriere in der Justiz mit Unruhe zu erfüllen. Er wusste, dass er gut war, methodisch, doch nicht brillant. Er arbeitete, wie er immer gearbeitet hatte, sorgfältig und gewissenhaft. Gleichwohl hatte er bei jedem Schritt das Gefühl, dass ihm der Boden unter den Füßen wegbröckelte.
    Auch als Elisa geboren wurde, ließ dieses Gefühl nicht nach, im Gegenteil. Es schien ein Gegengewicht zu seinen Vaterfreuden zu sein, eine dunkle Seite, die sich verstärkte und von der er niemandem erzählen konnte. Weder seinen Kollegen in Ancona, noch denen in Gallarate. Später in Mailand war es noch schlimmer. Und Colnaghi war tot.
    Nur Cattaneo hob sich noch vom Hintergrund dieser Mühsal ab, der erfahrene Meister, der allmählich alt wurde und standhaft
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