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Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)

Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)

Titel: Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)
Autoren: Michael Schuck
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Thema: "Krankheit als Strafe Gottes", leise auf. Wofür aber war sie, die Frau des Pfarrers, die sanfte Seele, gestraft worden? Das ließ den frommen Menschen keine Ruhe.
    Judith erinnerte sich an den väterlich oberflächlichen Arzt, der ihr immer wieder die Schulter tätschelte und mit fröhlichem Ton verkündete: "Das wird schon wieder."
    Aber es wurde nicht. Judith blieb gelähmt und sprachlos.
    Die Türe des Schlafzimmers öffnete sich. Ihr Mann trat ein.
    "Du bist wach?!", sagte er.
    Judith konnte nicht antworten.
    "Du musst nicht meinen, das ließe mich alles kalt", begann er. Forschend sah er in ihr Gesicht.
    "Was erwartet er von mir?", dachte Judith.
    "Weißt du, ich bin oft dagegen angegangen. Aber es war stärker als ich."
    Waren da nicht Tränen in seinen Augen? War er ein so großer Schauspieler? Aber nein, dieses Tränen waren nicht für sie gespielt. Endlich begann Judith ihren Mann zu durchschauen. Das waren Tränen reinsten Selbstmitleids.
    "Ich habe versucht, trotz allem gut zu dir zu sein, obwohl du mich als Frau so schwer enttäuscht hast."
    Unbeschreibliche Gefühle stiegen in Judiths gelähmtem Körper auf. Sie kamen von ganz tief unten. Sie stießen gegen ihre Körperwände wie eine rasende See gegen Betonmauern. Dicke Schweißperlen traten ihr auf die Stirn.
    Ihr Mann, der Pfarrer, tätschelte ihre Hand.
    "Entschuldige, aber ich musste dir das `mal sagen."
    Und zufällig sagst du es jetzt, wo ich dir nicht mehr antworten kann, tobte es in Judith. Vor zwanzig Jahren hättest du mit mir darüber sprechen sollen. Statt dich in den Gemeindeaufbau zu flüchten, in die vielen Sitzungen, in die seelsorgerlichen Fälle und in die Betten deiner Geliebten, hättest du mit mir sprechen sollen.
    Stattdessen hast du allen echten Sex in die Hölle geredet, von geistiger Liebe gefaselt. Und ich bin vor lauter Einsamkeit in diese ganzen Nächstenliebegruppen gerannt, in denen sich Menschen treffen voller Zartheit, Dummheit und eigenen, uneingestandenen Problemen.
    Der Pfarrer ließ ihre Hand los. Wenn sie sich auch keinen Millimeter weit bewegen konnte, so reichte Judiths Blick doch völlig aus, ihn tief zu erschrecken.
    "Und das mit Griselda. Du musst das verstehen. Sie ist zehn Jahre jünger als du. Sie ist noch voller Leben."
    Und als ich jung war und voller Leben hast du mich ins Totenhaus der Frömmigkeit gelockt, wo alle spontanen Gefühle und vor allem die erotischen, zur letzten Ruhe aufgebahrt werden. Und jetzt, wo ich alt und unansehnlich bin, besitzt du die Geschmacklosigkeit, dich meinem jüngeren Ebenbild, meiner Schwester, zuzuwenden. "Ja, ich kann das verstehen", schrie es in Judith. "Sie ist hübscher, sie vögelt bestimmt ganz toll und sie verfügt über eine enorm elastische Moral.
    Dieses unsensible Untier, das ist mein Mann? Das habe ich über all die Jahre nicht gemerkt?
    Doch, du hast das gemerkt, geiferte die wütende Stimme in Judith weiter. Aber du hast das nicht wahrhaben wollen. Denn er behauptete, dich zu lieben. Und du warst ihm dankbar dafür, denn deine Meinung über dich selbst war so abgrundtief schlecht, dass du unter dem Deckmantel der Liebe alle Grausamkeit von seiner Seite entschuldigt hast. Du hattest Angst vor dem Alleinsein. Du hast gedacht, niemand außer ihm erträgt dich. Ohne ihn wärest du vielleicht allein gewesen. Und für dieses 'vielleicht' warst du bereit, fromm zu werden, die Schliche dieses Mannes zu übersehen und die eigenen schlechten Gefühle zu überhören. Abgesehen davon hatte er ja auch gute und beeindruckende Seiten. Wie gut er daherreden konnte. Ganze Säle voll Menschen konnte er mitreißen.
    Griselda erschien in der Türe.
    "Sie wird dich pflegen", sagte der Pfarrer. "Wir dachten, das sei die beste Lösung. Und falls du gesund wirst, sehen wir weiter."
    Griselda stand in der Tür. Sie trug die dunkelblaue, schlichte Kleidung der Diakonissen. Sogar ein gestärktes Häubchen hatte sie aufgesetzt, obwohl das eigentlich nicht ganz legal war, denn sie hatte keine Ausbildung. Das dunkle Blau stand ihr gut. Mit ihren fünfzig Jahren strahlte sie eine ungebrochene Vitalität aus, eine von der Art, die sich von keinerlei moralisch en Einschränkungen eindämmen lässt.
    Judith dachte: Ob Bigotterie an sich schon einen sexuellen Reiz bewirkt?
    Alle eingesperrte Lebenskraft bäumte sich in ihr gegen diese Lügen auf. Kräfte aus den versunkenen Tiefen der menschlichen Evolution erwachten und begannen ihre archaischen Netze zu knüpfen.
    Bitterer Schweiß
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