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Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)

Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)

Titel: Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)
Autoren: Michael Schuck
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lief in Strömen an Judiths gelähmtem Körper hinunter, durchnässte das Laken, durchfeuchtete das Bett, verdunstete im Raum und zog in feinen Tröpfchen in die Wände des Zimmers und hauchte ihm ein eigenes, ungutes Leben ein.
    Auf dem Flur sagte der Pfarrer zu Griselda: "Sie nimmt immer mehr ab. Man kann es geradezu sehen."
    "Mehr als künstlich ernähren können wir sie nicht", gab Griselda zurück.
    "Hast du ihre Augen gesehen?"
    "Das ist der Preis, den wir für unsere Liebe zahlen müssen." Sie sah den Pfarrer mit ihren hellen blauen Augen an, die wie die Glasaugen einer Kinderpuppe wirkten. "Ich bin bereit, diesen Preis zu zahlen. Bist du es auch?"
    "Ja, das ist das Opfer, das wir bringen müssen", sinnierte er laut.
    "Kommst du heute Abend zu mir?" , fragte sie und unterbrach damit seine komplizierten Gedankengänge. Sie fand es an ihm besonders reizvoll, dass er in einem Augenblick genießen konnte, wie ein homerischer Held, und im nächsten Augenblick auf dem Fußboden herumkroch und seinen düsteren, strengen Gott um Verzeihung anwinselte.
    "Es ist nicht recht", antwortete er. "Und doch werde ich zu dir kommen. Es ist, wie Paulus es im Römerbrief, Kapitel 7, Vers 21 sagt: Ich will zwar das Gute tun, bringe aber nur Böses zustande."
    "Ach, gib es doch endlich einmal zu", unterbrach Griselda seine Selbstanklagen etwas ungeduldig, "dass gerade dieses Böse dir besonders viel Spaß macht."
    Doch der Pfarrer hörte ihr gar nicht richtig zu, sondern setzte seinen Gedankengang fort: "Oder wie es im Vers 24 des gleichen Abschnittes heißt: Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?"
    "Ich werde das bestimmt nicht tun", kicherte Griselda. "Ich werde dich vielleicht ein bisschen erleichtern, aber erlösen, das ist mir zu schwer. Hör' doch jetzt auf!“, setzte sie ernster werdend hinzu. Ihre Stimme wurde schärfer: "Du bist scharf auf mich und darfst es eigentlich nicht sein. Und das wiederum macht mich scharf auf dich. Mehr ist das Ganze nicht wert. Außer, dass wir uns gestatten, was andere sich nie trauen und stattdessen ihr ganzes Leben lang den verpassten Chancen nachtrauern."
    Der Pfarrer umarmte sie. Seine Schultern zuckten. Lachte er oder weinte er? Griselda gestand sich ein, dass sie den Winkelzügen seiner unsteten Moral immer noch nicht ganz folgen konnte. Manchmal war er ihr deswegen ein bisschen unheimlich. Denn die gleiche bodenlose Brutalität, die er im Augenblick gegen Judith richtete, konnte sich ja auch einmal gegen sie selbst wenden. Aber, so beruhigte sich Griselda, sie würde ein Umschlagen seiner Stimmung eher merken als Judith, die ja offenbar gar nichts gemerkt hatte. Und jetzt war es zu spät für sie.
    Griselda wusste, er würde heute Nacht zu ihr kommen. Und so lange er kam, konnte ihr eigentlich nicht viel passieren.
     
    *****
     
    Gegen 23.00 Uhr öffnete sich die Türe des Gästezimmers. Griselda sah den Prediger eintreten. Ohne Umschweife legte er seine Kleider ab und machte es sich neben Griselda im Bett bequem. Endlich konnten sie sich ihren ersehnten Zärtlichkeiten hingeben.
    Eine geraume Zeit später wurden sie gestört. Ein seltsames Knarren durchlief den Raum. Griselda, die gerade auf dem Rücken gelegen hatte, sah, wie die Wände des Raumes zu kippen begannen. Putz und Kalkstaub rieselte n in weißen Fahnen von der Decke. Sie schreckte hoch. Jetzt wurde auch der Prediger aufmerksam, der seinen Kopf an ihrer vollen Brust gebettet hatte und eingedämmert war. Er sprang aus dem Bett. Der Fußboden wölbte sich ihm entgegen. Er stolperte.
    Notdürftig warf er sich seine Jacke über und taumelte auf den Flur:
    "Judith!", rief er.
    "Und was ist mit mir?", dachte Griselda.
    Er versuchte die Treppe zu ersteigen. Aber sie schwankte, als wäre er auf einem Schiff, das in einen bösen Sturm geraten wäre. Der Pfarrer klammerte sich an das Treppengeländer wie ein Seemann an die Reling. Langsam kam er höher. Die Türe zum Eheschlafzimmer stand offen. Der Pfarrer taumelte in den Türrahmen und blieb wie versteinert stehen. Das ganze Zimmer war mit Blutflecken und Blutlachen übersät. Die Schränke, die Wände, der Boden, alles starrte von klebrigem Rot. Dazwischen leuchteten weißliche Flecken einer ekelhaften Flüssigkeit durch die Dunkelheit des Raumes, deren Ursprung der Pfarrer zu erahnen sich weigerte.
    Von Judith gab es keine Spur. Jedenfalls sah er nichts von dem, was er von ihr kannte. Aber tief in seinem Inneren wusste er, dass dies alles
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