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Im Meer schwimmen Krokodile

Titel: Im Meer schwimmen Krokodile
Autoren: Fabio Geda
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warm, und zum Abendessen gab es Pasta und so. Aber ich wollte etwas arbeiten oder lernen – am liebsten lernen. Stattdessen vergingen zwei Monate – zwei Monate, in denen ich nicht das Geringste tun oder auch nur sagen konnte, da ich die Sprache noch nicht beherrschte. Ich versuchte allerdings, sie aus Büchern zu lernen, die mir Marco und Danila geschenkt hatten. Mein einziger Zeitvertreib bestand darin, schweigend fernzusehen, zu schlafen und zu essen. Auch das schweigend.
    Das Nichtstun lag mir ganz und gar nicht. Außerdem durfte ich keinerlei Besuch empfangen, nicht einmal von der Familie, die mich beherbergt hatte. Und so kam es, dass Danila und Marco nach zwei Monaten langsam nervös wurden. Sie kümmerten sich darum, dass mich Sergio, ein befreundeter Lehrer, der bereits im Heim bekannt war, an den Samstagnachmittagen abholen durfte. Dann sollte ich meine Freizeit (von der ich mehr als genug hatte) mit den Jungen eines interkulturellen Vereins verbrin gen.
    Sergio kam und holte mich ab, und dieser erste Samstag war einfach herrlich: Als ich zu dem Verein kam, war Payam ebenfalls da. Er nahm mich bei der Hand und stellte mich allen vor. Danila war auch da. So hatte ich Gelegenheit, mit ihr zu reden und mich zu bedanken, ihr aber auch zu sagen, dass ich mich in dem Heim aus vielerlei Gründen nicht wohlfühlte. Dass ich nicht hergekommen sei, um nur zu essen, zu schlafen und fernzusehen. Ich wolle etwas lernen und arbeiten. Da sah mich Danila nachdenklich an. Doch damals sagte sie noch nichts. Als ich dann eine Woche später wieder zu dem Verein ging, nahm sie mich beiseite. Flüsternd und so, als sagte sie etwas äußerst Schwerwiegendes, fragte sie, ob ich gern bei ihr und ihrer Familie wohnen würde. Platz gebe es dort ja genug. Und wenn mir das Zimmer unterm Dach gefalle, könne ich es haben. Ich sagte, dass es mir nicht nur gefalle, sondern dass das wirklich fantastisch sei.
    Also stellten sie einen entsprechenden Antrag. Nachdem die Formalitäten Tage später erledigt waren, holten sie mich ab. Sie erklärten mir, dass sie jetzt meine Pflegefamilie seien und dass ich von nun an ein Zuhause und eine Familie habe, sprich: drei Hunde, ein Zimmer, ja sogar einen Schrank für meine Kleider.
    Dass wir uns auch gern haben würden, mussten sie nicht extra dazusagen.
    So begann mein zweites Leben. Zumindest war das der erste Schritt. Denn jetzt, wo mich Marco und Danila bei sich aufgenommen hatten, musste ich alles dafür tun, dort auch bleiben zu dürfen und nicht aus Italien ausgewiesen zu werden. Das wiederum bedeutete, dass ich eine Anerkennung als politischer Flüchtling und eine Aufenthaltserlaubnis brauchte.
    Das erste Problem war die Sprache. Ich sprach kaum Italienisch. Wir alle bemühten uns, damit ich es besser lernte. Ich konnte mit Mühe und Not lateinische Buchstaben lesen und verwechselte ständig die Null mit dem O. Auch die Aussprache war schwierig.
    Vielleicht solltest du lieber einen Kurs machen, sagte Danila.
    Schule?, fragte ich.
    Ja, in einer Schule, erwiderte sie.
    Ich hob den Daumen, zum Zeichen, dass ich mich freute. Dann dachte ich an die Schule in Quetta zurück, die ich immer aufgesucht hatte, um den Kindern beim Spielen zuzuhören. Vor lauter Begeisterung belegte ich gleich drei Kurse, aus Angst, dass einer nicht reichen könnte. Und so verließ ich morgens um acht mit Danila das Haus und vertrieb mir bis halb zehn die Zeit. Den ersten Kurs machte ich bei einer Turiner Bildungseinrichtung. Dann ging ich zu einer anderen Schule und besuchte den zweiten Kurs. Anschließend lief ich zu meinem interkulturellen Verein. Dort nahm ich am dritten Italienischkurs teil, woraufhin ich glücklich und erschöpft nach Hause zurückkehrte. Das dauerte ein halbes Jahr. Solange dolmetschte mein Freund Payam für mich, wenn ich allein nicht zurechtkam. Zum Beispiel, wenn mir jemand zu Hause etwas sagen wollte, das ich nicht verstand. Dann rief ich Payam an, und er übersetzte. Manchmal rief ihn auch Danila an, um zu fragen, was ich mir zum Abendessen wünschte. Dabei war das Essen mein geringstes Problem: Mir genügte es, satt zu werden.
    Im Juni machte ich den Hauptschulabschluss, und zwar gegen den Rat meiner Lehrer, die meinten, das wäre noch zu früh. Aber die Zeit verstreicht nun mal nicht überall auf der Welt gleich schnell!
    Im September schrieb ich mich an einer Berufsschule für soziale Berufe ein, wo ich mich sofort blamierte. Zumindest hatte ich das Gefühl. Manchmal merke ich es gar
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