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Im Meer schwimmen Krokodile

Titel: Im Meer schwimmen Krokodile
Autoren: Fabio Geda
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verstehen, dass er ebenfalls nach Rom fahre und wir beide am Bahnhof – den er Termini nannte – aussteigen würden. Ich könne mich beruhigen, das sei die Endstation. Also stiegen wir in Rom gemeinsam aus. Am Gleis gab mir der dicke Mann die Hand und sagte: Bye-bye . Bye-bye , erwiderte ich, da nach trennten sich unsere Wege.
    Auf dem Bahnhofsvorplatz wimmelte es nur so von Menschen, Autos und Bussen. Ich klapperte alle Haltestellen ab, um die Nummer 175 zu finden. Ich wusste, dass ich an der Endstation aussteigen musste.
    Als ich den Ostiense-Bahnhof erreichte, war es dunkel. Dort gab es einen Haufen Leute, die ihr Penner nennt und ich Bettler, aber keine Afghanen. Dann sah ich eine lange Menschenschlange vor einer Mauer, Afgha nen waren auch dabei. Ich stellte mich mit ihnen an. Sie erklärten mir, dass sie aufs Essen warteten und dass es von Mönchen verteilt werde. Man bekomme auch Decken und Kartons, mit denen man sich einen Unterstand bauen könne, wenn man darum bitte.
    Hast du Hunger?, fragte ein Mönch, als ich an der Reihe war.
    Ich erriet die Bedeutung seiner Worte und nickte. Ich bekam zwei panini und zwei Äpfel.
    Wie findet man einen Ort, an dem man sich weiterentwickeln kann, Enaiat? Woran erkennt man ihn?
    Daran, dass man nicht mehr weggehen will. Aber bestimmt nicht daran, dass er perfekt wäre. So etwas wie einen perfekten Ort gibt es nicht. Aber es gibt Orte, an denen man wenigstens in Sicherheit ist.
    Wenn du nicht in Italien geblieben, sondern weitergereist wärst – wo wärst du dann hingegangen?
    Keine Ahnung. Nach Paris vielleicht.
    Gibt es in Paris auch einen Ort wie den Ostiense-Bahnhof?
    Ja, ich glaube, es gibt so eine Brücke. Wie sie heißt, weiß ich nicht mehr, aber man kommt mit einem Bus hin. Ich wusste auch mal die Nummer des Busses, aber inzwischen habe ich sie zum Glück vergessen.
    Ich musste mir schleunigst etwas einfallen lassen, denn wenn man Fahrkarten und so was bezahlen muss, wächst das Geld schließlich nicht nach wie eine Pflanze. In solchen Momenten hat man ganz merkwürdige Vorstellungen von der Zukunft – und meine Zukunft hieß Payam.
    Von Payam wusste ich wie gesagt nur, dass er in Italien war, aber nicht, wo. Und da Italien ziemlich viele Einwohner hat, musste ich mir etwas überlegen. Ich begann also, nach ihm zu suchen. Ich nannte allen seinen Namen, bis ich schließlich jemanden fand, der sagte, er habe einen Freund, der jetzt in England sei. Der habe mal von einem Jungen dieses Namens erzählt, mit dem er in einem Asylantenheim in Crotone, Kalabrien, gewesen sei. Natürlich konnte das auch ein ganz anderer Payam sein, denn an Namen hat man schließlich kein Exklusivrecht.
    Wir riefen also diesen Freund in London an, der Arbeit in einer Bar gefunden hatte.
    Ich habe eine Handynummer, die ich dir geben kann, sagte er.
    Gut, erwiderte ich. Weißt du auch, wo er wohnt?
    In Turin.
    Ich notierte die Handynummer und wählte sie, ohne den Callshop auch nur zu verlassen.
    Hallo?
    Hallo, ich hätte gern mit Payam gesprochen.
    Am Apparat. Und mit wem spreche ich?
    Mit Enaiatollah Akbari. Aus Nawa.
    Schweigen.
    Hallo?, sagte ich.
    Ja, ich bin noch dran.
    Ich bin Enaiatollah Akbari. Aus Nawa.
    Das habe ich schon verstanden, aber das kann gar nicht sein. Von wo aus rufst du an?
    Aus Rom.
    Das kann nicht sein.
    Warum kann das nicht sein?
    Wie kommst du nach Italien?
    Wieso? Wie kommst du nach Italien?
    Payam konnte einfach nicht fassen, dass ich es war. Er stellte mir Fangfragen zu unserem Dorf, zu meinen und seinen Verwandten. Ich konnte sie alle beantworten. Schließlich sagte er: Und was hast du jetzt vor?
    Keine Ahnung.
    Na, dann komm doch nach Turin!, sagte er.
    Wir verabschiedeten uns, und ich ging zum Bahnhof, um einen Zug zu nehmen. Bei dieser Gelegenheit lernte ich mein erstes italienisches Wort, das weiß ich noch wie heute. Ich ließ mich von einem Afghanen begleiten, der schon eine Weile hier war und die Sprache gut genug beherrschte, um eine Fahrkarte kaufen und das richtige Gleis finden zu können. Er stieg mit mir ein, sah sich um und sprach eine sympathisch wirkende Frau an. Er muss in Turin aussteigen. Scendere , sagte er. Nur dass scin auf Iranisch Stein heißt. Das habe ich nie vergessen, und so schaffte ich es scindere Torino , scindere Torino zu sagen, ohne dass es zu einer solchen Verwirrung wie bei Rome kam.
    Unterwegs fragte die Frau, ob sie jemanden bitten solle, mich am Bahnhof Porta Nuova abzuholen. Ich gab ihr Payams Nummer, und sie rief ihn
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