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Im Meer schwimmen Krokodile

Titel: Im Meer schwimmen Krokodile
Autoren: Fabio Geda
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rechneten, dass ein Afghane vom Himmel fiel, bekamen die drei Männer einen Riesenschreck. Ein Hund – es gab nämlich auch ei nen Wachhund – suchte das Weite. Ich landete also ungelenk auf dem Asphalt und hielt sofort nach einem Fluchtweg Ausschau. Ich durfte mich von meinen Schmerzen nicht ablenken lassen. Ich sah, dass ein Teil des Zaunes, der den Hof von der Straße trennte, eingerissen war. Ich rannte auf allen vieren dorthin wie ein Tier. Ich schaffte es nicht, aufrecht zu gehen. Ich rechnete damit, dass man mich verfolgte, doch stattdessen schrie einer der jungen Männer im Arbeitsoverall: Go, go!, und zeigte auf die Landstraße. Niemand hat versucht, mich aufzuhalten.
    Das erste Straßenschild, das ich sah, war blau.
    Darauf stand: Venedig.
    Eine ganze Weile folgte ich einer wenig befahrenen Straße. Plötzlich tauchten in der Ferne zwei Gestalten auf, die schnell näher kamen. Als sie mich erreichten, begriff ich, dass es sich um zwei Radfahrer handelte. Wegen mei ner völlig verdreckten Kleider, meiner teerverschmierten Haare oder wegen meines Gesichts bremsten sie, als sie mich sahen, und hielten an. Sie fragten, ob alles in Ordnung sei, und ob ich etwas brauche – eine Geste, die mich unglaublich freute. Wir unterhielten uns auf Eng lisch, so gut es eben ging, und als der Erste sagte, er sei Franzose, sagte ich: Zidane. Und als der Zweite sagte, er sei Brasilianer, sagte ich: Ronaldinho. Mehr wusste ich nicht über ihre jeweilige Heimat, aber ich wollte ihnen zeigen, dass ich sie mochte. Sie fragten, woher ich komme. Aus Afghanistan, sagte ich, darauf sie: Taliban, Taliban. Das wussten sie über meine Heimat.
    Einer von beiden – der Brasilianer, glaube ich – gab mir zwanzig Euro. Sie zeigten mir, in welche Richtung die nächste Stadt lag: Mestre. Ich winkte zum Abschied und setzte meinen Weg fort, bis ich an eine Bushaltestelle kam. Dort warteten zwei oder drei Personen, darunter auch ein Junge. Ich ging zu ihm und fragte: Train station?
    Keine Ahnung, wer dieser Junge war, vielleicht ein Engel, aber er hat mir wirklich sehr geholfen. Komm mit!, sagte er und sorgte dafür, dass ich mit ihm in den Bus steigen konnte. Als wir in Venedig am Piazzale Roma ankamen, kaufte er mir ein panino , weil ich wohl so aussah, als hätte ich Hunger. Er brachte mich zu einer Kirche, wo er mir neue Kleider besorgte. Dort konnte ich mich auch waschen, damit die Leute sich nicht vor mir ekelten.
    Und dann das wunderschöne Venedig, das mitten auf dem Wasser liegt! Meine Güte, dachte ich, ich bin im Paradies. Vielleicht ist ganz Italien so. Rome, Rome! , sagte ich zu dem Jungen. Da begriff er, dass ich nach Rom wollte, und brachte mich zum Bahnhof. Er kaufte mir sogar die Fahrkarte. Vielleicht ist er mit der griechischen alten Dame verwandt, dachte ich. Denn eine solche Freundlichkeit lernt man nur durch Vorbilder.
    Ich wusste nicht, wie weit es von Venedig bis Rom ist und wie lange die Fahrt dauern würde. Ich wollte nicht zu weit fahren und war entsprechend aufgeregt. In Rom wusste ich, was ich zu tun hatte: Ich hatte die Anweisungen noch genau im Kopf. Ich musste das Bahnhofsgebäude ver lassen und auf dem Vorplatz nach dem Bus mit der Nummer 175 suchen. Solche Informationen bekommt man sogar in Griechenland.
    Mir gegenüber saß ein dicker Mann, der sofort sein Notebook aufklappte, um zu arbeiten. Bei jedem Halt, ja selbst, wenn der Zug nur seine Fahrt verlangsamte, beugte ich mich vor und sagte: Please Rome, please Rome . Aber wir hatten große Verständigungsprobleme, denn wenn ich please Rome, please Rome sagte, erwiderte er: No rum, no rum , weil ich Rome wie rum aussprach.
    Weil ich ständig please Rome, please Rome sagte, fing der dicke Mann irgendwann an, wie am Spieß zu brüllen: No rum ! Er stand auf und ging. Ich hatte Angst, dass er die Polizei holte. Stattdessen kehrte er wenige Minuten später mit einer Dose Cola zurück. Er knallte sie vor mich hin und sagte: No rum . Coca-Cola. No rum. Drink. Drink.
    Ich verstand nicht genau, was los war, aber eine Cola lehnt man nicht ab. Also öffnete ich die Dose, trank sie aus und dachte: Der Typ ist wirklich durchgeknallt! Erst regt er sich auf, und dann spendiert er mir was zu trinken. Als wir das nächste Mal hielten und ich immer noch an meiner Cola nippte, beugte ich mich ohne jedes Schuldbewusstsein aus dem Fenster und sagte : Please Rome, please Rome . Da verstand er und sagte: Roma , nicht rum. Roma.
    Ich nickte.
    Mit Händen und Füßen gab er mir zu
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