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Im Meer schwimmen Krokodile

Titel: Im Meer schwimmen Krokodile
Autoren: Fabio Geda
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dafür werden sie bezahlt. Sie haben sich ihr Gehalt wirklich bis auf den letzten Cent verdient. Wenn sie dich finden, verhaften sie dich nicht. Stattdessen zerren sie dich heraus und jagen dich davon. Manchmal nehmen sie Hunde zur Hilfe.
    Und so war ich die Schlepper nach einer Weile leid, die ohnehin nichts für mich organisieren konnten, und be schloss, es auf eigene Faust zu versuchen. Jamal sollte das Geld behalten.
    Ich zog an den Strand (am Strand kann man gut schlafen und außerdem duschen). Ich schloss mich einer Gruppe von Afghanen an, die ebenfalls davon träumten wegzugehen, und von da an war es wie ein Spiel: Immer wieder gingen wir zu dritt oder viert zum Hafen und versuchten, auf einen Laster zu klettern. Wenn schönes Wetter war und wir gute Laune hatten, versuchten wir es auch zehn-, elfmal hintereinander. Einmal ist es mir gelungen, aber der Laster schiffte sich nicht ein, sondern verließ sofort den Hafen. Wie gesagt, auch das kann passieren. Keine Ahnung, wo der hinwollte. Ich begann, gegen die Karosserie zu trommeln und gegen die Wände des Anhängers. Als wir etwa zwanzig bis dreißig Minuten von der Stadt entfernt waren, muss mich der Fahrer gehört haben. Er hielt an, stieg aus und machte mir auf. Mit einem Schraubenschlüssel in der Hand. Als er sah, wie klein ich war, hat er mich nicht geschlagen (anders kann ich mir das nicht erklären). Er hat mir irgendeine Beleidigung an den Kopf geworfen, was ich gut verstehen kann, und mich laufen lassen.
    Eines Abends sagte ich beim schönsten Sonnenuntergang zu den anderen am Strand: Ich versuch’s noch mal.
    Am Eingang zum Hafen standen drei übereinander gestapelte Lastwagenanhänger, die aussahen wie ein dreistöckiges Gebäude. Ich kletterte bis ganz nach oben und machte mich so klein wie möglich, um in eine Öffnung zu schlüpfen. Plötzlich griff ein Kran nach dem Gebäude. Ich hielt die Luft an. Das Gebäude bewegte sich und wurde ins Schiff gehoben. Eine Stunde später schloss es die Ladeluken. Ich platzte schier vor Freude. Ich hätte schreien können vor Glück, aber das wäre keine gute Idee gewesen. Außerdem war es stockdunkel, und ich wusste nicht, wohin es ging. Ich hatte weder etwas zu trinken noch etwas zu essen dabei, also beruhigte ich mich schnell wieder und begriff, dass man erst einmal bis zum Ende durchhalten muss, bis man wirklich behaupten kann, es geschafft zu haben.
    Drei Tage war ich im Bauch des Schiffes eingeschlossen. Ich hörte unbeschreiblichen Lärm, ein Brodeln und Brüllen und jede Menge andere Geräusche. Dann kam das Schiff zum Stehen. Ich hörte, wie der Anker heruntergelassen wurde, ein wirklich unverwechselbares Geräusch. Da fragte ich mich, wo ich wohl gelandet war.

Italien
    Noch durfte ich nicht aufstehen, mich nicht bewegen: ruhig bleiben, möglichst nicht einmal atmen, warten. Geduld haben, denn das kann einem das Leben retten.
    Nachdem der Lastwagen den Hafen verlassen hatte – was mehr als eine Viertel-, aber keine halbe Stunde dauerte –, wurde er langsamer und fuhr auf einen Hof, wo noch viele andere Laster, Motorräder und Anhänger standen. Meine Freunde in Griechenland hatten mir geraten, nicht gleich herauszuklettern, sondern zu warten, bis der Laster das Landesinnere welchen Landes auch immer erreicht hätte. Bis er weit genug von der Grenze entfernt wäre. Wenn der Fahrer dann eine Pause einlegte, zum Beispiel an einer Autobahnraststätte, sollte ich mich davonschleichen. Also blieb ich, wo ich war, und wartete, dass der Laster weiterfuhr. Ich rief mir die einzelnen Schritte wieder ins Gedächtnis, um geistesgegenwärtig reagieren zu können: herausspringen, auf den Zehenspitzen landen, sich falls nötig abrollen, um die Wucht des Aufpralls abzufedern, nach einem Fluchtweg Ausschau halten, losrennen, sich nicht umdrehen, sondern einfach immer weiterrennen. Doch es sollte anders kommen …
    Wir fuhren nicht weiter. Stattdessen spürte ich eine Art Erdbeben. Ich lehnte mich hinaus. Ein riesiger Kran hatte den Anhänger gepackt, in dem ich steckte. Ich bekam Panik und dachte: Was jetzt? Was, wenn ich in einer Metallpresse lande? Ich beschloss, sofort auszusteigen, und ließ mich fallen.
    Drei Männer arbeiteten in der Nähe des Krans. Obwohl ich mich seelisch darauf vorbereitet hatte, landete ich wie ein Sack Kartoffeln, denn meine Beine waren wie aus Holz und konnten den Sprung nicht abfedern. Beim Aufkommen stieß ich einen Schrei aus. Entweder wegen des Schreis oder weil sie nicht damit
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