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Im Land des weiten Himmels

Im Land des weiten Himmels

Titel: Im Land des weiten Himmels
Autoren: J Wolfe
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und etwas Geld gespart habe, fahre ich los. Warum kommst du nicht mit?«
    »Ich gehöre hierher, Hannah. Das weißt du doch. Ich bin eine echte New Yorkerin. Und da, wo du hinwillst, finde ich bestimmt keinen Millionär.«
    Sie blickten beide über die nächtliche Stadt hinweg. Carla ließ ihren Blick über die erleuchteten Wolkenkratzer schweifen, den Metropolitan Life Tower mit seinem roten Licht auf der massiven Antenne, und das Woolworth Building, das höchste Gebäude der Welt, das wie eine gotische Kathedrale aus dem Häusermeer ragte. Hannah betrachtete den Himmel, fand den Nordstern und verlor sich mit ihren Gedanken irgendwo am dunklen Horizont.
    »Ich habe mich nie mit dieser Stadt anfreunden können«, sagte Hannah nach einigen Minuten der Stille. »Ich würde nicht mal bleiben, wenn mir ein Millionär den Hof machen würde. Ich brauche Platz zum Leben. Ich will frische Luft atmen und nicht diesen fürchterlichen Gestank da unten.« Sie deutete in die Straßenschluchten hinab. »Diese Automobile sind mir ein Gräuel.«
    »Bist du schon mal in einem gefahren?«
    »Einmal«, gestand Hannah, »ein Gast wollte mir unbedingt zeigen, wie sich so ein Ding fährt. Aber glaube mir, so viel Angst hatte ich noch nie.«
    Carla lachte, wie immer, wenn ihre Freundin auf die Zivilisation schimpfte. »Automobile sind bequem …, zumindest die großen mit den feinen Ledersitzen und der Extra-Ausstattung, wie der Wagen der Swanson in dem Film.«
    »Du bist genauso eine Träumerin wie ich.«
    »Ich finde meinen Millionär.« Sie klang entschlossen. »Gib mir ein, zwei Jahre, und ich lade dich zu einer Party in die Fifth Avenue ein.«
    »Wenn ich dann noch hier bin.« Hannahs Blick war wieder auf den Nordstern gerichtet.
    »Was meinst du denn, was dahinten liegt?« Clara folgte dem Blick ihrer Freundin, als versuchte sie, die Dunkelheit zu durchdringen. »Endlose Wälder, in denen wilde Tiere und vielleicht sogar noch Indianer leben. Einsame Flüsse und Seen. Eisige Gletscher. Willst du wie ein Fallensteller in der Wildnis leben? Da oben gibt es keine Städte und keine Dörfer. Da ist kein Laden, in dem man einkaufen kann, kein Lichtspielhaus, kein Theater, kein Broadway, keine Fifth Avenue. Das ist was für Trapper und Indianer, aber nicht für dich.«
    »Ich hab nicht gesagt, dass ich als Einsiedler in die Wälder ziehen und auf die Jagd gehen werde. Ich muss nur mehr Platz zum Atmen haben. Deswegen sind wir doch damals aus Deutschland weg: um mehr Freiheit zu haben, um endlich das tun zu können, was uns gefällt.«
    Clara lächelte milde. »Bis du deine Schulden abbezahlt hast, ist dir die Lust dazu vergangen. Schöne Frauen wie wir sind auf der Welt, um sich einen wohlhabenden Mann zu angeln und ein angenehmes Leben zu führen. Wollen wir wetten, dass du in New York bleibst und in ein paar Jahren gar nicht mehr von hier wegwillst?«
    »Die Wette würdest du verlieren, Clara«, erwiderte Hannah entschlossen.
    Doch schon wenige Minuten später, als sie sich von Clara verabschiedete und in ihren Flur zurückkehrte, war sie sich ihrer Sache nicht mehr so sicher. Wilhelm Behringer wartete vor ihrer Tür. Er war angetrunken und stützte sich mit einer Hand an der brüchigen Wand ab. »Wusste ich … doch, dass Sie im Lande sind«, begrüßte er sie. Sein Lallen und seine Fahne ließen vermuten, dass er in einem Speakeasy gewesen war und mehr als einen Whiskey getrunken hatte. »Speakeasys« nannte man die versteckten Kneipen, die heimlich Alkohol ausschenkten. Er stieß sich von der Wand ab. »Hey … Wollen Sie mich nicht reinbitten, Miss?«
    Sie hatte nicht abgeschlossen und war froh, dass er nicht auf die Idee gekommen war, den Türknauf zu drehen. »Es ist schon spät, Mr Behringer.«
    »Ich will … mit Ihnen reden, verdammt.«
    »Ich muss morgen früh raus, Sir. Wenn ich zu spät komme, gibt es eine Abmahnung. Warum kommen Sie nicht am Sonntag vorbei? Nach dem Gottesdienst?«
    »Ich will aber jetzt mit Ihnen reden!« Er stützte sich wieder gegen die Wand und griff nach dem Türknopf, ohne ihn zu erwischen. »Es … geht um Ihren Kredit! Sie sind …, sind mir noch die letzte Rate schuldig …«
    »Das ist nicht wahr!«, brauste sie auf. »Ich habe Ihnen das Geld vor drei Tagen bezahlt! Die Rate und die Miete! Erinnern Sie sich nicht mehr? Sie haben mir sogar eine Quittung gegeben. Ich kann Sie Ihnen zeigen.«
    »Quittungen …« Er verzog den Mund. »Quittungen kann man fälschen.«
    »Wollen Sie etwa behaupten, dass
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