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Im Land des weiten Himmels

Im Land des weiten Himmels

Titel: Im Land des weiten Himmels
Autoren: J Wolfe
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sie kühn. »Sie waren …« Sie suchte nach einem einigermaßen höflichen Ausdruck. »… ein wenig beschwipst und wollten mich sicher nicht beleidigen. Ein Gentleman würde sich einer Frau doch niemals ohne deren Einverständnis nähern, nicht wahr?«
    Behringer ging auf ihren höflichen Ton ein. »Natürlich nicht«, antwortete er gönnerhaft. »Ich war tatsächlich etwas beschwipst, und wenn ich Sie in irgendeiner Form beleidigt haben sollte, möchte ich Sie nachträglich um Verzeihung bitten. Ich wollte Ihnen auf keinen Fall zu nahe treten.«
    »Und Sie verzichten auf eine Mieterhöhung?«
    »Ich habe Ihre Miete nicht erhöht, Miss … Miss …«
    »Stocker. Hannah Stocker.«
    »… Miss Stocker. Ich bin lediglich gezwungen, einen Teil der horrenden Zinsen, die ich den Banken zahlen muss, an Sie weiterzugeben. Ganz zu schweigen von den Abgaben, die uns die Stadt neuerdings aufbürdet. Sie haben sicher von den steigenden Wasserpreisen gelesen.« Er lächelte jovial. »Aber ich bin kein Unmensch. Normalerweise müsste ich Ihre Nebenkosten und die Rückzahlungen rückwirkend zum ersten Januar erhöhen. Ihnen zuliebe bin ich aber bereit, auf diese Abgaben zu verzichten und sie erst ab diesem Monat zu erheben. Damit kommen Sie besser weg als alle anderen Mieter.«
    »Zehn Dollar? Niemand muss zehn Dollar mehr zahlen!«
    »Denken Sie an Ihre Schulden, Miss. Bei Ihnen stehen noch ungefähr zwanzig Raten offen, und auch darauf entfallen Zinsen. Wenn Sie den Kredit bei einer Bank aufnehmen müssten, kämen Sie wesentlich schlechter weg.«
    »Vierzehn Raten«, verbesserte sie. »Es sind noch vierzehn Raten.«
    »Ich glaube, da haben Sie sich verrechnet.« Behringer lächelte.
    »Ich habe die Quittungen doch gerade erst gezählt!« Sie ging zum Kleiderschrank und zog die beiden Umschläge hervor. Schon auf den ersten Blick erkannte sie, dass jemand sie geöffnet hatte. In düsterer Vorahnung zählte sie die Quittungen. Es fehlten die letzten sechs Monate. »Aber heute Nacht waren sie doch noch da!« Sie prüfte jede einzelne Quittung und blickte ihn entsetzt an. »Sie haben die Quittungen genommen! Sie waren an meinen Sachen und haben sechs Quittungen verschwinden lassen! Sie wollen, dass ich sechs Monate länger zahle, so ist es doch, nicht wahr? Das ist ungeheuerlich, Sir!«
    »Ihr Vorwurf ist ungeheuerlich!« Behringer blieb ruhig und gefasst, nur sein spöttisches Grinsen ließ die Wahrheit erkennen. »Ich würde niemals Quittungen verschwinden lassen.«
    »Sie sind ein Betrüger, Mr Behringer! Ein gemeiner Betrüger! Sie verlangen eine unverschämte Miete für dieses …, dieses … Loch, lassen meine Quittungen verschwinden, damit ich keine Beweise gegen Sie in der Hand habe, und schlagen einen Wucherzins auf alle Zahlungen. Das ist grausam!«
    Behringer stand auf und blieb dicht vor ihr stehen. Obwohl er immer noch lächelte, ging eine Eiseskälte von ihm aus. »Ich verstehe Ihren Ärger, Miss Stocker. Ich war ähnlich wütend, als ich von den erhöhten Zinsen und den neuen Abgaben erfuhr. Aber Sie müssen mich verstehen. Ich gebe lediglich die Kosten weiter, die man mir aufbürdet. Ich bin kein Betrüger. Ich bin Geschäftsmann und kann leider keine Rücksicht auf Einzelschicksale nehmen.«
    »Sie haben meine Quittungen verschwinden lassen!«
    »Ich wäre vorsichtig mit solchen Vorwürfen, Miss Stocker!« Sein Lächeln wurde sanfter, und seine Stimme nahm einen versöhnlichen Ton an. »Aber wir sollten uns nicht streiten. Warum machen Sie mir nicht das Vergnügen und gehen mit mir aus? Wir wären sicher ein gutes Team, und um zehn Dollar mehr oder weniger bräuchten Sie sich dann auch keine Sorgen mehr zu machen. Wäre Ihnen heute Abend recht, Miss Stocker? Gegen sieben?«
    »Raus!«, fauchte sie ihn an. »Verschwinden Sie!«
    »Denken Sie über mein Angebot nach, Miss.« Behringer verließ die Wohnung und zog die Tür so leise hinter sich zu, als hätte er Angst, jemand zu wecken. Der Duft seines teuren Rasierwassers hing unangenehm in der Luft.
    Hannah stopfte die Umschläge in den Schrank und ließ sich aufs Bett fallen. Sie war viel zu entsetzt und wütend, um zu weinen, schlug alle paar Sekunden mit den Fäusten auf die Decke und verfluchte Behringer mit den übelsten Schimpfwörtern, die ihr einfielen. Nur ganz allmählich beruhigte sie sich wieder, und ihr wurde bewusst, in welche verzweifelte Lage er sie gebracht hatte. Behringer hatte sie in der Hand.
    Um kurz vor Mitternacht auf dem Dach berichtete sie
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