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Im Land des Roten Ahorns

Im Land des Roten Ahorns

Titel: Im Land des Roten Ahorns
Autoren: Claire Bouvier
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Anstand.
    »Bleiben Sie ruhig, Fräulein Halstenbek, dafür bin ich ja da. Ihr Vater hat mir vor Wochen genaue Instruktionen übermittelt. Ich verspreche Ihnen, ich werde die Angelegenheit ganz diskret lösen.«
    Diskret?, dachte Jaqueline, während sie sich die Tränen trocknete. Was ist an dieser Angelegenheit noch diskret? Beinahe jeder in Hamburg weiß, wie es um Anton Halstenbek stand. Wahrscheinlich sprechen alle nur noch von seinen Schulden, nicht von seinen Leistungen als Kartograf.
    »Mit Ihrem Einverständnis werde ich die Gläubiger Ihres Vaters von seinem Tod in Kenntnis setzen. Wir werden einen Termin für die Besichtigung Ihres Hauses ausmachen und anschließend mit den Herrschaften über die Verteilung sprechen.«
    »Und wo soll ich hin?« Erneut stieg Verzweiflung in ihr auf. Sie hatte nicht vor, so zu enden, wie Fahrkrog es ihr gewünscht hatte.
    »Erst einmal nirgendwohin. Sie bleiben im Haus, bis wir wissen, wie viel Geld die Besitztümer Ihres Vaters einbringen. Vielleicht bleibt für Sie sogar noch etwas übrig, sodass Sie erst mal zur Miete wohnen können.«
    Doch wie lange könnte ich das?, fragte Jaquelines sich bitter. Und was dann? Ich muss mir eine Anstellung suchen. Vielleicht als Gesellschafterin oder Erzieherin. Aber wer stellt in Zeiten wie diesen jemanden ein? Der Krieg liegt zwar schon einige Jahre zurück, aber dennoch geht es nicht allen wieder so gut wie Petersen.
    »Und wann, glauben Sie, soll die Besichtigung stattfinden?«, fragte sie, nachdem sie sich geschnäuzt hatte. Der Gedanke, Fahrkrog bei dem Termin wiederzusehen, weckte so viel Widerwillen in ihr, dass sie für einen Moment die Trauer vergaß.
    »Ich würde vorschlagen, dass wir den Termin nach der Beerdigung ansetzen. So lange wird man Sie sicher noch in Ruhe lassen. Aber gnadenlos, wie die Geschäftswelt nun einmal ist, werden die Gläubiger danach nicht mehr lange auf sich warten lassen.«
    Jaqueline ballte zornig die Fäuste. Soll ich Petersen erzählen, dass Fahrkrog nichts davon hält, mich in Ruhe zu lassen?
    Sie entschied sich dagegen. Petersen könnte ihr auch nicht helfen. Wenn Fahrkrog Kenntnis von dem Besichtigungstermin hatte, würde er vielleicht davon absehen, wieder bei ihr aufzutauchen. Und wenn er es doch tut, lasse ich ihn ganz einfach nicht mehr herein. Soll er sich vor meiner Tür die Beine in den Bauch stehen!, dachte sie.
    »Alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte Petersen, als eine Entgegnung ihrerseits ausblieb.
    Jaqueline nickte, obwohl das nicht der Wahrheit entsprach. »Geben Sie mir Bescheid, welchen Termin Sie festgesetzt haben! Mir ist ein Tag so recht wie der andere. Viel kann ich den Herrschaften ohnehin nicht anbieten.«
    »Das müssen Sie auch nicht. Ich bin auf alle Fälle für Sie da. Wenn Sie Hilfe benötigen oder Fragen haben, wenden Sie sich vertrauensvoll an mich.«
    Als Jaqueline vom Postamt heimkehrte, lag auf der Kommode im Flur ein Brief für sie. Dass er nicht von Warwick stammte, erkannte sie auf den ersten Blick, denn schon die Farbe des Umschlags sprach dagegen. Außerdem war die Handschrift, mit der ihre Adresse verfasst war, wesentlich gröber und fahriger.
    Ist es ein Drohschreiben von Fahrkrog? Hetzt er mir jetzt seinen Anwalt auf den Hals?
    Unwohlsein überfiel sie. Die Angst vor dem, was der Geldverleiher angezettelt haben könnte, mischte sich mit dem Ekel, den sie immer noch angesichts seines Angriffs empfand. Am liebsten würde sie den Brief ignorieren. Aber sie wusste zu gut, dass es nichts half, den Kopf in den Sand zu stecken.
    Stirnrunzelnd nahm sie den Brief von dem silbernen Tablett, auf dem Christoph ihn abgelegt hatte. Er war recht schwer, und außer ihrem Namen und ihrer Adresse stand nichts darauf. Eine Briefmarke war ebenfalls nicht vorhanden, was nahelegte, dass dieses Schreiben abgegeben worden war.
    Da sie nicht erst nach einem Brieföffner suchen wollte, schlitzte sie den Umschlag kurzerhand mit dem Daumen auf. Innerlich wappnete sie sich bereits gegen Drohungen, Forderungen oder halbherzige Beileidsbekundungen von entfernten Verwandten, die sich in der Hoffnung, etwas erben zu können, meldeten.
    In dem Umschlag steckten zwei lavendelfarbene Papierbögen, wie sie auch ihr Vater immer für die Korrespondenz verwendet hatte. Als sie sie auseinanderfaltete, erkannte sie den Briefkopf ihres Vaters - und seine Handschrift. Ein Zittern rann durch ihre Glieder.
    Was hat das zu bedeuten? Erlaubt sich hier jemand einen Scherz mit mir?
    Während Jaqueline der
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