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Im Land des Roten Ahorns

Im Land des Roten Ahorns

Titel: Im Land des Roten Ahorns
Autoren: Claire Bouvier
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fragte sie sich. Petersen vielleicht?
    Nein, dessen Handschrift habe ich heute noch gesehen; sie hat gar keine Ähnlichkeit mit dieser hier.
    »Ich hoffe, es war keine schlechte Nachricht.« Damit unterbrach Christoph ihre Überlegungen.
    »Nein, das war es nicht ...« Kurz spielte Jaqueline mit dem Gedanken, ihm den Inhalt zu verraten. Doch dann erinnerte sie sich wieder an die Bedingung ihres Vaters. »Es war zur Abwechslung mal etwas Erfreuliches.«
    Christoph versuchte sich an einem aufmunternden Lächeln. »Ich habe Tee zubereitet und von Frau Delius etwas Sandkuchen bekommen. Sie hat mich vorhin gefragt, was bei uns in der Nacht los war. Als ich es ihr erzählt habe, hat sie einen Kuchen aus der Küche geholt und ihn mir mit den besten Empfehlungen für das junge Fräulein überreicht.«
    Nun schlich sich auch ein Lächeln auf Jaquelines Gesicht. Meine Nachbarin sieht in mir wohl noch immer das kleine Mädchen, das mit einem Stück Kuchen getröstet werden kann, dachte sie. Aber die Zeiten sind leider vorbei.
    »Wenn Sie möchten, bringe ich Ihnen beides.«
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen, Christoph.« Jaqueline umklammerte den Brief, als drohe er ihr zu entgleiten. »Und ich würde mich freuen, wenn Sie mir Gesellschaft leisten und mir berichten könnten, was sich während meiner Abwesenheit zugetragen hat.«
    Wenig später schwebte das würzige Aroma eines Darjeelings durch das Zimmer. Genießerisch biss Jaqueline in ein Stück Kuchen. Sie stellte fest, dass sich an Frau Delius' Backkünsten nichts geändert hatte.
    Christoph saß ihr ein wenig verlegen gegenüber. Als Anton Halstenbek noch lebte, hatte es nie eine gemeinsame Teestunde mit seiner Herrschaft gegeben. Wie es sich gehörte, hatte er den Tee immer zusammen mit den Mägden und der Köchin eingenommen. Aber er hatte seiner Dienstherrin den Wunsch nicht abschlagen wollen.
    »Der Bestatter hat einen Boten geschickt«, berichtete er, nachdem er einen Schluck Tee getrunken hatte. »Ich soll Ihnen ausrichten, dass das Begräbnis am Mittwoch stattfinden kann - und dass er Ihnen Kredit gewährt.«
    Ein schmerzliches Lächeln zuckte über Jaquelines Gesicht. Wieder jemand, bei dem wir in der Schuld stehen, ging ihr durch den Kopf.
    »Ist gut, Christoph, vielen Dank.«
    »Außerdem waren ein paar Kreditgeber hier. Sie lassen ihr Beileid ausrichten und haben gleichzeitig an die Verbindlichkeiten erinnert. Sobald eine Aufstellung des Vermögens vorgenommen wurde, erwarten sie eine Nachricht.«
    Bei diesen Worten krampfte sich Jaquelines Brust zusammen. Der Kuchen lag ihr plötzlich wie ein Stein im Magen.
    Erzählen Sie mir doch etwas Erfreulicheres!, lag ihr auf der Zunge, aber sie sagte stattdessen: »Ich habe mit Herrn Petersen gesprochen. Vater war so vorausschauend, ihm eine Liste der Gläubiger zu schicken.«
    »Fahrkrog steht auch auf dieser Liste, nehme ich an«, erklärte Christoph grimmig.
    Jaqueline beobachtete, dass seine Hände zornig zu zittern begannen. »Ja, das tut er. Und der Betrag, den ich ihm schulde, ist beträchtlich, weshalb er wohl als einer der Ersten ausgezahlt wird.«
    »Für den Angriff auf Sie müsste er eigentlich alle Ansprüche verlieren.«
    »Leider kann ich das eine nicht mit dem anderen verrechnen.« Jaqueline seufzte. »Ich fürchte, der Kerl wird erst Ruhe geben, wenn er sein Geld hat.«
    »Was, wenn er wieder versuchen wird, Sie anzugreifen? Vielleicht sollte ich Sie ab sofort begleiten, wenn Sie aus dem Haus gehen.«
    »Jetzt hören Sie sich fast schon an wie mein Vater«, gab Jaqueline brüsk zurück. »Heute habe ich es auch allein zu Petersens Kanzlei und zum Postamt geschafft, ohne Fahrkrog zu begegnen.«
    »Bitte verzeihen Sie, ich wollte nicht aufdringlich sein!«, lenkte Christoph ein, während er mit der Gabel sein Kuchenstück zerteilte. »Ich mache mir nur Sorgen um Sie und fühle mich in gewisser Weise verantwortlich. Ihr Vater hätte gewollt, dass ich auf Sie aufpasse.«
    Jaqueline schämte sich plötzlich für ihre barsche Antwort. »Tut mir leid, ich wollte Sie nicht kränken, Christoph. Ich weiß Ihre Fürsorge sehr wohl zu schätzen.« Sie lächelte ihn verlegen an und betrachtete ihn forschend.
    Seine zweiundvierzig Jahre sah man ihm kaum an; allenfalls der Silberschimmer im Haar und die kleinen Falten um seine blauen Augen deuteten darauf hin. Sein Kinn, das von einem Grübchen geteilt wurde, war stets sorgfältig rasiert.
    Habe ich ihn jemals richtig wahrgenommen?, fragte sich Jaqueline. Nein,
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