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Im Land des Roten Ahorns

Im Land des Roten Ahorns

Titel: Im Land des Roten Ahorns
Autoren: Claire Bouvier
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Morgenlicht fiel durch die hohen Fenster und brachte das sorgfältig gebohnerte Parkett zur Geltung. Hinter den verglasten Schaltern hielten sich die Angestellten bereit. Alle trugen dieselben schwarzen Armschoner und grünen Westen. Diejenigen, die keine Kunden bedienten, rollten Münzen in Papierstreifen oder studierten Schriftstücke.
    Hinter dem Schalter, den Jaqueline wählte, stand ein jüngerer Mann. Er musterte sie, bevor er sie mit einem gewinnenden Lächeln bedachte. »Was kann ich für Sie tun, gnädige Frau?«
    Mit nervös zitternder Hand zog sie die Vollmacht hervor und legte das Papier in die kleine Schublade auf dem Tresen.
    Der Bedienstete zog das Schreiben zu sich heran, las es und blickte Jaqueline an.
    Sie hatte damit gerechnet, dass er sie nach ihrem Namen fragen würde, doch er wandte sich unvermittelt um und verschwand durch eine kleine Tür.
    Unschlüssig sah sich Jaqueline in der Halle um. Am Nebenschalter stand ein Paar. Die Frau hielt sich, wie es sich gehörte, zurück, während der Mann das Gespräch führte.
    Mutter ist nie so gewesen, erinnerte Jaqueline sich. Obwohl auch sie gewusst hat, wo der Platz einer Frau war, hat sie viele Dinge selbst geregelt. Was hätte sie auch anderes tun sollen, da ihr Gatte ständig auf Reisen war? Letztlich hat Vater sich nach Mutters Tod nicht mehr zurechtgefunden, dachte Jaqueline.
    Das Klappen der Tür unterbrach ihre Grübeleien. Der Bankangestellte war mit einer kleinen Schachtel zurückgekehrt.
    »Das ist der Inhalt des angegebenen Schließfachs«, erklärte er, während er ein Formular durch die Lade schob. »Bitte unterschreiben Sie die Empfangsbestätigung!«
    Während Jaqueline zu dem Federhalter griff, musterte sie die Schachtel. Sie war mit einem exotisch gemusterten Stoff überzogen. Ein kleiner Schlüssel steckte im Schloss.
    Nachdem sie ihre Unterschrift geleistet hatte, reichte ihr der Angestellte das Kästchen.
    »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«, fragte er, was Jaqueline verneinte.
    Das Kästchen fest an sich pressend, verabschiedete sie sich und trat vom Schalter zurück. Im ersten Impuls wollte sie nach draußen stürmen, doch dann überlegte sie es sich anders und gestattete sich einen Blick in das Innere. Eine goldene Brosche mit blauen und lavendelfarbenen Steinen funkelte in einem Sonnenstrahl, der just in diesem Moment durch ein Fenster in die Halle fiel. Das Schmuckstück hatte die Form einer exotischen Blüte.
    Wie verzaubert berührte Jaqueline die Steine. Kein Wunder, dass sie Mutter gefallen hat!, dachte sie. Plötzlich war ihr wieder zum Weinen zumute. Schluchzend presste sie die Hand auf den Mund.
    Als sie die neugierigen Blicke einiger Kunden spürte, klappte sie den Deckel der Schatulle zu und rannte mit hängendem Kopf zur Tür hinaus.
    Dort stieß sie mit jemandem zusammen.
    »Nanu, warum denn so eilig, Fräulein Halstenbek?«
    Jaqueline erstarrte. Sie bekam eine Gänsehaut. Ausgerechnet Fahrkrog musste sie hier über den Weg laufen! Geistesgegenwärtig stopfte sie die Schatulle, die sie immer noch in der Hand hielt, in die Manteltasche.
    Der Geldverleiher musterte sein Gegenüber mit Haifischaugen und einem hämischen Grinsen.
    »Na, was haben Sie denn hier zu suchen? Die Schuldscheine Ihres Vaters?«
    Jaquelines Magen krampfte sich zusammen. Ihre Wangen glühten vor Zorn. Wie konnte er wagen, sie zu verspotten?
    »Ich wüsste nicht, was Sie das angeht«, entgegnete sie kühl. »Guten Tag, Herr Fahrkrog!«
    Sie straffte die Schultern und lief davon, während ihr Puls nur so raste und sie vor Angst zitterte.
    Zeig ihm bloß nicht, wie sehr du dich vor ihm fürchtest!, ermahnte sie sich.
    Als sie sich nach einer Weile umwandte, stellte sie erleichtert fest, dass der Geldverleiher verschwunden war. Keuchend blieb sie stehen und presste eine Hand auf die Brust. Ihr Herz raste wie ein gefangenes Tier, das sich verzweifelt gegen die Gitterstäbe seines Käfigs warf. Es dauerte eine Weile, bis Jaqueline sich wieder beruhigt hatte und weitergehen konnte.
    Christoph hat vielleicht Recht, überlegte sie. Ich sollte nicht allein durch die Stadt gehen.
    Vor ihrem Elternhaus erblickte Jaqueline eine dicht gedrängte Menschenmenge auf dem Gehsteig. Das Gemurmel der Leute klang in ihren Ohren wie das Summen eines Wespenschwarms.
    Überrascht blieb sie stehen. Was hat das zu bedeuten? Das werden doch nicht etwa alles Gläubiger sein? Nein, unmöglich!
    Entschlossen bahnte sie sich einen Weg zur Haustür. Da sah sie, dass
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