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Im Land Der Weissen Wolke

Im Land Der Weissen Wolke

Titel: Im Land Der Weissen Wolke
Autoren: Sarah Lark
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setzte das kräftige braune Pferd ohne zu zögern über alle Zäune und Mauern hinweg, die Silkhams Koppeln begrenzten. Als es näher kam, bemerkte Warden auch den kleinen schwarzen Schatten, der sich nach Kräften mühte, mit Pferd und Reiter Schritt zu halten. Teilweise sprang der Hund über die Hindernisse, teilweise hüpfte er die Mauern wie Treppen hinauf oder tauchte einfach unter der untersten Zaunlatte durch. Jedenfalls war das schwanzwedelnde, eifrige Etwas schließlich vor dem Reiter auf der Schafkoppel und übernahm gleich die Führung des Trios. Dabei schienen die Schafe fast Gedanken zu lesen. Wie auf ein einziges Kommando der Hündin formierten sie sich zu einer geschlossenen Gruppe und stoppten brav vor den Männern, ohne sich dabei auch nur eine Minute zu erregen. Unaufgeregt senkten die Schafe die Köpfe erneut ins Gras, bewacht von Silkhams drei Hütehunden. Der kleine Neuankömmling kam derweil Beifall heischend zu Silkham und schien über das ganze freundliche Colliegesicht zu strahlen. Allerdings sah die Hündin die Männer nicht direkt an. Ihr Blick richtete sich eher auf den Reiter des braunen Pferdes, der eben hinter den Männern zum Schritt durchparierte und anhielt.
    »Guten Morgen, Vater!«, sagte eine helle Stimme. »Ich wollte dir Cleo bringen. Ich dachte, du brauchst sie.«
    Gerald Warden blickte ebenfalls zu dem Jungen auf und wollte ihm gerade ein paar lobende Worte zu seinem eleganten Parforceritt sagen. Dann aber stockte er, als er den Damensattel bemerkte, dazu ein verschlissenes, dunkelgraues Reitkleid sowie die Fülle des nachlässig im Nacken zusammengebundenen, flammendroten Haares. Möglicherweise hatte das Mädchen die Locken vor dem Ritt züchtig aufgesteckt, wie es Brauch war, aber sehr viel Mühe konnte sie sich damit nicht gemacht haben. Andererseits hätte sich bei diesem wilden Ritt wohl fast jeder Knoten gelöst.
    Lord Silkham blickte wenig begeistert. Immerhin erinnerte er sich jetzt daran, das Mädchen vorzustellen.
    »Mr. Warden – meine Tochter Gwyneira. Und ihre Hündin Cleopatra, der vorgeschobene Grund ihres Kommens. Was machst du hier, Gwyneira? Wenn ich mich recht erinnere, sprach deine Mutter von einer Französisch-Lektion heute Nachmittag ...«
    Gewöhnlich hatte Lord Terence den Stundenplan seiner Tochter nicht im Kopf, doch Madame Fabian, Gwyneiras französische Hauslehrerin, litt an einer ausgeprägten Hundeallergie. Lady Silkham pflegte ihren Gatten deshalb stets zu erinnern, Cleo vor dem Unterricht aus dem Umkreis seiner Tochter zu entfernen, was nicht einfach war. Die Hündin klebte an ihrer Herrin wie Pech und Schwefel und war nur durch besonders interessante Hüte-Aufgaben von ihr wegzulocken.
    Gwyneira zuckte anmutig die Schultern. Sie saß tadellos gerade, aber locker und völlig sicher zu Pferde und hielt ihre kleine, kräftige Stute gelassen am Zügel.
    »Das war vorgesehen, ja. Aber die arme Madame hatte einen schlimmen Asthma-Anfall. Wir mussten sie zu Bett bringen, sie konnte kein Wort sprechen. Woher sie das nur immer hat! Mutter achtet doch so gewissenhaft darauf, dass kein Tier in ihre Nähe kommt ...«
    Gwyneira versuchte, gleichmütig dreinzublicken und Bedauern zu heucheln, doch ihr ausdrucksvolles Gesicht spiegelte eher einen gewissen Triumph. Warden hatte jetzt Zeit, sich das Mädchen näher anzusehen: Es hatte einen sehr hellen Teint mit leichter Neigung zu Sommersprossen, ein herzförmiges Gesicht, das unschuldig süß gewirkt hätte, wäre der ein wenig volle und breite Mund nicht gewesen, der Gwyneiras Zügen etwas Sinnliches verlieh. Vor allem wurde ihr Gesicht von großen, ungewöhnlich blauen Augen beherrscht. Indigoblau, erinnerte sich Gerald Warden. So hieß das in den Farbkästen, mit denen sein Sohn einen Großteil seiner Zeit vertrödelte.
    »Und Cleo ist nicht zufällig noch mal durch den Salon gelaufen, nachdem die Hausmädchen dort jedes Hundehaar einzeln entfernt hatten, bevor Madame sich aus ihren Räumen traute?«, fragte Silkham streng.
    »Ach, das glaube ich nicht«, meinte Gwyneira mit sanftem Lächeln, das ihrer Augenfarbe einen wärmeren Ton verlieh. »Ich habe sie vor der Stunde persönlich in den Stall gebracht und ihr eingeschärft, dass sie dort auf dich zu warten hat. Aber sie saß noch vor Igraines Box, als ich zurückkam. Ob sie wohl etwas geahnt hat? Hunde sind manchmal sehr einfühlsam ...«
    Lord Silkham erinnerte sich an das dunkelblaue Samtkleid, das Gwyneira beim Lunch getragen hatte. Wenn sie Cleo
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