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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange
Autoren: Altmann Andreas
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und Shops mit Adult books vorbei. Ich werfe mein Gepäck im Hotel ab und finde ein Café mit überdachter Terrasse. The Australian liegt herum, die größte Zeitung des Kontinents.
    Auf der ersten Seite das Foto eines indischen Arztes, eines Moslems, der in Brisbane arbeitete, und verdächtigt wird, an den (gescheiterten) Attentaten in Großbritannien beteiligt gewesen zu sein. Und ein (größeres) Foto vom berühmtesten Bimbo-Paar, das sich die westliche Welt zurzeit leistet, David Beckham mit Frau, Ex-Spicegirl Victoria B. Ausführlich werden wir auf Seite eins darüber informiert, wie viel Geld die beiden an wie vielen Orten scheffeln. Er ist bereits zu Los Angeles Galaxy gewechselt, sie droht der Menschheit mit einer eigenen TV -Show. Der Artikel endet mit der nervenzerreißenden Frage an das australische Volk, ob die beiden zu einem Abstecher hierherkommen oder nicht.
    Die Franzosen nennen dieses rasant boomende Phänomen »peopolisation«: Nicht unser Planet und seine Bewohner sollen uns interessieren, sondern »people«, jene magersüchtigen Idiotinnen und gelverklebten Hohlköpfe, die uns mit ihren Sottisen in Atem halten.
    Das ist eine lehrreiche Zeitungslektüre, todernst gemeint. Sie lehrt uns etwas über Globalisierung, übers Reisen. Wo immer man ankommt, zwei Sorten von Erdenbürgern sind schon da: die Bombenleger und die »simple minds«, kein Winkel entgeht ihnen. Wer wüsste noch ein Versteck, um ihnen zu entkommen. Meist die gleichen Visagen und gleichen Sprüche. Die einen versprechen uns den Tod, die anderen den Hirntod.
    Der Beginn dieser Reise erinnert mich an eine Szene aus der Kindheit, als ich neben einem zockelnden Güterzug herlief und aufzuspringen versuchte. Es dauerte, bis ich den Tritt fand, den Mut, den rechten Augenblick. Australien kenne ich nur flüchtig, ich habe noch keine Ahnung, wie mit ihm umgehen. Aber ich spüre, dass ich hier – wie seltsam, gleicht es doch in vielem Europa – länger brauchen werde als auf unvertrauteren Erdteilen.
    Nächster Morgen. Frühstück direkt neben dem Hotel, ein Türke ist der Boss des Fast-Food-Ladens. Ich stelle mich vor Mister Cenel auf und deklamiere ein Gedicht von Nazim Hikmet, dem Gott, dem Liebling, dem Nationaldichter aller Türken. Der Alte traut seinen Ohren nicht, 15 000 Kilometer von Anatolien entfernt hört er eine Strophe aus seiner Heimat (sie ist kurz und die einzige, die ich auswendig weiß):
    Leben
    einzeln und frei
    wie ein Baum
    und brüderlich
    wie ein Wald
    ist unsere Sehnsucht
    Hinterher habe ich einen Kumpel in Sydney, ab sofort kommt der Kaffee umsonst zu den Spiegeleiern. Ich genieße die kleinen Siege der Poesie. Nie wird sie Berge versetzen, aber mit nichts als ein paar Worten Nähe und Wärme zwischen zwei Wildfremden zaubern. Das schon.
    Jeder Reisende kennt das Gefühl. Man betritt eine Stadt und mag sie. Oder nicht. Ich bin das dritte Mal hier und bin noch immer nicht begeistert. Zu brav, zu schön, zu geschleckt. Es ist, als ginge man mit einer verdammt gut aussehenden Frau aus, die immer nur verdammt gut aussieht. Und irgendwann, ziemlich bald, kann man den Wunsch nicht mehr unterdrücken, sich nach einer anderen Frau zu sehnen. Bei der sich nicht jeder umdreht. Aber die mit jedem Satz, den sie ausspricht, verlockender wird. Weil Tiefe und Weltwissen begehrenswerter machen als eine Oberfläche, die kein Geheimnis birgt.
    Die Presse heizt gerade die Stimmung für das hiesige Opernhaus an, es soll, nein, es muss auf die Liste der »sieben neuen Weltwunder«. Ach, ich weiß nicht, ich würde Cate Blanchett vorschlagen, sie ist eine australische Sensation an Schönheit und Talent und, das auch noch, klugen Gedanken.
    Das Problem mit der größten Stadt Australiens und ihren über vier Millionen Einwohnern ist die Abwesenheit von Aufregung. Nirgends ein Spinner. Ein Großteil der Sydneysider eilt morgens mit einem Pappbecher Starbucks-Kaffee Richtung Subway und abends nach Hause, diesmal mit Shoppingtüten beladen. In einem im Flugzeug gelesenen Reisebericht über die laut Bürgermeister »schönste Stadt der Welt« klapperte der Autor die typischen Klischees ab, die Harbour Bridge, den Blick auf den Hafen, die Skyline, das Lichtermeer. Bis er, wohl unbewusst, ahnte, dass wir Leser bereits den Zustand gereizter Dösigkeit erreicht haben und er, der Schreiber, ganz plötzlich
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