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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange
Autoren: Altmann Andreas
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war, dass die Polizei einschreiten musste, um das Werfen von Steinen und anderen harten Gegenständen an die Köpfe der Kriminellen zu unterbinden.« Irgendein Besucher vor mir muss den Zettel hinterlassen haben, der jetzt neben der Vitrine liegt. Ein Akademiker, denn auf lateinisch steht da: »Vox populi, vox bovis«, Volkes Stimme, Rindviehs Stimme. Man verbietet sich sogleich, den Satz klug zu finden. Es gelingt nicht.
    Die Strafaktionen gegen Frauen waren eine Spur weniger brachial. Die Autoritäten fanden bald heraus, dass das Abschneiden der Haare, sprich, der Verlust von Schönheit, zu den härtesten Erniedrigungen zählte. Schlimmer als Tabakentzug, Essensentzug, Einzelzelle oder »Steine brechen«.
    Erstaunlicherweise wurde die Strafkolonie im Mutterland bald verklärt, zum »land of milk and honey«. Eingedenk dessen, dass England Mitte des 19. Jahrhunderts ein Alptraum gewesen sein muss, klingt die Sehnsucht verständlich. Da das Zahlenverhältnis Mann/Frau in Australien noch immer 6 zu 1 betrug, waren fernwehlustige Damen hochwillkommen. Es gab jedoch Bedingungen: zwischen 18 und 35 Jahre, ein Gesundheitsattest und die Beglaubigung eines »moral character«.
    Achtzig Jahre lang, bis 1868, wurden etwa 150 000 Schwerverbrecher und glücklose Pechvögel verschifft. Unter ihnen auch der (einzig nachweisbare) Deutsche, ein gewisser Gustavus Hallenburg, den es in frühester Jugend nach London verschlagen hatte und der als Halbwüchsiger beim Klauen einer Uhr gefasst worden war. O.k., sieben Jahre Deportation. In seinen Unterlagen steht »readis« (sic!), er kann lesen. Er wird wegen einer ganz undeutschen Eigenschaft – »idleness«, Trägheit – am 4. November 1846 ausgepeitscht, 24 Streiche mit dem Lederriemen. Einmal bekommt er zehn Tage lang »bread and water«. Und nach genau sieben Jahren sein »Certificate of Freedom«, die Nummer 44/216 weist ihn als freien Mann aus. Er kehrt zurück nach England, wo sich seine Spur verliert.
    Zwei Minuten, nachdem ich das Museum verlassen habe, sehe ich wieder einen Bürger dieser Stadt, wie er mit moderner Gerätschaft das Trottoir fegt. Auf dass keine Baumnadel und kein Grashalm den nackten Asphalt entstelle. Sofort will man ein convict gewesen sein. Um nie so zu enden: Mit dem Staubsauger in der Hand auf der Jagd nach Grünzeug. Der Blick auf den vielleicht 30-Jährigen lehrt, dass selbst ein Galgenvogel im Stammbaum kein überschwängliches Leben garantiert.
    Beim Abendessen in Chinatown sitzt mir Greg gegenüber, ein Obdachloser. Ich will ihn ködern, er soll eine Geschichte erzählen. Aber er beißt nicht an. Immerhin kommt ein kurzer Satz, als ich meinen Besuch in den Barracks erwähne und ihn frage, wie er als Weißer zu den Aborigines steht. Meist reden Penner wie Populisten, scharf rechts, immer nach Sündenböcken für die eigene Misere Ausschau haltend. Nicht Greg, trocken meint er: »We are staying on their fucking land.«
    Heitere Abendlektüre, in der Zeitung zwei erstaunliche Meldungen. Der Bürgermeister von Paris ließ Merkblätter verteilen, um die Einwohner zu mehr Freundlichkeit den Besuchern der Stadt gegenüber zu bewegen. Inzwischen sei nämlich das Japan-Syndrom ausgebrochen. Jene Nervenkrise, an der Japaner und Japanerinnen erkranken, die so erschüttert über das flegelhafte Benehmen der Pariser sind, dass sie sich in ärztliche Behandlung begeben, in Härtefällen den Rückflug antreten. In Sydney würde ihnen das nicht passieren. Sogar Greg, der Abgerissene, fragt, als ich auf den Stadtplan blicke: »You need help?«
    Die zweite Notiz betrifft eine TV -Journalistin, die sich weigerte, eine Nachricht über Paris Hilton vorzulesen. Sicher Miss Hiltons Nachdenklichkeiten über gelb getupfte Büstenhalter, die sie gestern bei Bloomingdale's gesichtet hat. Es sollte die erste Meldung der Evening News sein. »Das war keiner Nachricht wert«, wird die Reporterin hinterher erklären. Die Mutige soll hochleben. Eine, die noch spürt, eine, die noch unterscheiden kann zwischen dringlich und Schwachsinn.
    Ich weiß nicht, ob die Erinnerung an P. Hilton mich dazu bewegt hat, noch bei Dymocks vorbeizuschauen, einem der großen Buchläden im Land. Groucho Marx bemerkte einmal: »Ich finde Fernsehen sehr erzieherisch. Wo immer es läuft, gehe ich ins Zimmer nebenan und lese ein Buch.«
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