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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange
Autoren: Altmann Andreas
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Könnte es sein, dass die kalifornische Tussi ähnlich pädagogisch wirkt? Durchaus. Wie Hunger zum Essen treibt, so treibt (geistige) Dürre an einen Ort, an dem man Frauen und Männer trifft, die einen mit allem beschenken. Mit allen Gedanken, mit aller Welt, mit allem, was je auf ihr stattfand. Ich sitze am Boden zwischen zwei Bücherregalen und finde einen Absatz von Thomas Nash, einem aufmüpfigen Dichter, immer pleite, immer auf der Flucht vor denen, gegen die er rebellierte. Vor über 400 Jahren schrieb der Engländer ein paar Zeilen übers Unterwegssein, die damals nicht mehr stimmten als heute: »Wenn einer reisen will, so muss er den Buckel eines Esels haben, um alles zu ertragen. Den Schwanz eines Hundes, um jeden damit zu trösten. Die Schnauze eines Schweins, um alles Angebotene zu schlucken. Das Ohr eines Händlers, um allen widerspruchslos zuzuhören.«
    Am nächsten Morgen zum Bondi Beach, vielleicht der dritt- oder viertberühmteste Strand im Universum. Auf dem langen Weg komme ich an einem Laden vorbei, über dem steht: »Jews for Jesus.« Ich gehe hinein und frage nach dem Sinn des Satzes. Ich höre, dass hierher Juden kommen, die Jesus Christus als Gottessohn anerkennen. Ich bin jetzt ganz Händler und kommentiere mit keinem Wort. Ein paar hundert Meter weiter kann man seinen vierbeinigen Liebling bei Cat & Dog Grooming abgeben. Um ihn hinterher frisch geföhnt und pedikürt wieder spazieren zu führen. An der nächsten Ecke leuchtet auf einer großen, elektronisch beschrifteten Tafel, von überall sichtbar: Big screen/Big games – Australia versus Onan (sic!). Wieder einer dieser geheimnisumwobenen Sätze, die so beschwingt zum Nachdenken animieren. Erdkunde-Mangel? Tippfehler, der Onan mit Oman verwechselt? Provokation? Eine Meldung aus dem heftig Verdrängten? Ich liebe diese harmlosen Wahnsinnigkeiten, sie werden mir noch oft in Australien begegnen.
    Cooles Viertel, viele Cafés, sogar ein Café mit Wänden voller Bücher lädt ein, die Sonne leuchtet, das Meer, die Gischt, die biegsamen Australierinnen. Seevögel kreischen. Am Strand entlanggehen, alle schwer relaxed, jeder sagt zu jedem: »No worries.« Ob man jemanden versehentlich anrempelt oder vom berühmten Beach-boy-Hautkrebs redet, hier rufen sie tapfer: Kein Problem!
    Ein Schild erklärt die Gegend zur Alcohol-Free-Zone , bis zum 22.1.2009. Man darf vermuten, dass es sich die Stadtväter dann wieder anders überlegen. (Viele Wochen später werde ich gelernt haben, dass die Bier-Lobby in diesem Land über kurz oder lang jeden kauft.) Ein blau markierter Ausschnitt auf einer Karte zeigt die Straßen, die betroffen sind. Alle hiesigen Zecher sollten den Plan genau studieren, denn der Hastings Boulevard zum Beispiel ist nur die ersten hundert Meter alkoholfrei, einen Schritt weiter darf man wieder zur Flasche greifen.
    Vieles ist gesetzlos. Selbstverständlich rauchen (im Freien, im windigen Freien!), zudem Frisbee, Fußball, Weingläser, etc. Ich überfliege die Piktogramme, die ein Dutzend Tätigkeiten untersagen. Ich suche einen offenen Mund mit einem roten Querbalken. Gibt's nicht, wir Glücklichen, atmen ist noch erlaubt. Ich postiere mich vor der kleinen Säule, auf der eingraviert steht, dass von hier aus Königin Elisabeth II. am 6. Februar 1954 aufs Meer blickte. Ich blicke auch hinaus. Allerdings leicht deprimiert, da mir schmerzhaft bewusst ist, dass kein Denkmal die Nachwelt über diesen historischen Augenblick informieren wird.
    Ein paar Meter weiter befindet sich der Aussichtsturm des Surf Life Saving Club , angeblich der erste Verein dieser Art, weltweit. Andere widersprechen, sie wollen auch die ersten gewesen sein. Wie auch immer, hier wirtschaften Heldinnen und Helden, keiner weiß, wie viele Nichtschwimmer, Herzkranke, Haifischverfolgte und Volltrunkene die Retter – kostenlos – aus den Wellen gezogen haben. Lebendig, rechtzeitig. Seit 1907.
    Eine revolutionäre Einrichtung. Denn vor diesem Datum musste niemand gerettet werden, da Schwimmen am helllichten Tag verboten war. Nur frühestmorgens oder spät nach Sonnenuntergang, nur im Dunkeln durften die Australier ins Wasser. Nach Geschlecht getrennt. Und immer – jetzt stimmt das Wort plötzlich – im knielangen Bade-Anzug. Bis ein Sieger auftrat, ein gewisser William Henry Gocher, Brillenträger und Pfeifenraucher, er ging eiskalt
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