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Im Land der letzten Dinge (German Edition)

Im Land der letzten Dinge (German Edition)

Titel: Im Land der letzten Dinge (German Edition)
Autoren: Paul Auster
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Ausdruck an ihm auf, als litte er an irgendeiner Krankheit. Jedoch beklagt er sich nie, so dass unmöglich zu erkennen ist, was ihn beunruhigt. Körperlich hat er zweifellos einiges von seinem Elan verloren, aber seine Stimmung ist davon anscheinend nicht berührt worden, zumindest ist davon nichts zu merken. Hauptsächlich beschäftigt ihn in diesen Tagen die Frage, was wir mit uns anfangen werden, wenn wir erst einmal aus der Stadt heraus sind. Fast jeden Morgen tischt er uns einen neuen Plan auf, einer absurder als der andere. Sein jüngster übertrifft sie alle, obwohl ich vermute, dass er insgeheim wirklich daran hängt: Wir vier sollen eine Zauber-Show aufziehen. Wir können mit unserem Wagen durch die Gegend fahren, sagt er, und gegen Essen und Unterkunft Vorstellungen geben. Der Zauberer wird natürlich er selbst sein, in schwarzem Smoking und Zylinder. Sam macht den Ausrufer, Victoria den Direktor und ich die Gehilfin – die berückende, im knappen Paillettenkostüm umhertänzelnde junge Dame. Ich werde dem Maestro während des Auftritts die Instrumente reichen, und zum großen Finale werde ich in eine Holzkiste klettern und mich zersägen lassen. Eine lange, fieberhafte Pause wird sich anschließen, und dann, genau in dem Moment, da jegliche Hoffnung verloren ist, werde ich mit unversehrten Gliedmaßen der Kiste entsteigen, triumphierend winken und der Menge mit strahlend künstlichem Lächeln Kusshändchen zuwerfen.
    Angesichts dessen, was uns erwartet, träumt es sich schön von solchen Absurditäten. Das Tauwetter kann jetzt jederzeit einsetzen, und es ist durchaus möglich, dass wir schon morgen früh abfahren. So sind wir vor dem Zubettgehen verblieben: Wenn der Himmel einen günstigen Eindruck macht, werden wir ohne weitere Diskussion aufbrechen. Es ist jetzt tief in der Nacht, durch die Risse im Haus weht der Wind. Alle anderen schlafen, und ich sitze hier unten in der Küche und versuche mir auszumalen, was mir bevorsteht. Ich kann es mir nicht vorstellen. Ich kann mir nicht einmal ansatzweise denken, was dort draußen mit uns geschehen wird. Alles ist möglich, und das ist praktisch dasselbe wie nichts, so als würde man in eine Welt geboren, die vorher noch nicht existiert hat. Vielleicht finden wir William, wenn wir die Stadt verlassen haben, aber ich will nicht zu viel erhoffen. Das Einzige, was ich fürs Erste verlange, ist die Chance, noch einen Tag zu leben. Dies schreibt Anna Blume, deine alte Freundin aus einer anderen Welt. Sollten wir einmal irgendwo ankommen, werde ich dir schreiben, wenn’s geht, das verspreche ich.



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