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Im Land der Freien

Im Land der Freien

Titel: Im Land der Freien
Autoren: Andreas Altmann
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    Ich nicke ergeben und Cormack fährt ab, legt seine beiden Hände um meinen Kopf, fragt nach meinem Namen (» Andrew «) und jagt einen flammenden Monolog ins Mikrofon, mich zwischendrin auffordernd, ihm hinterherzujagen, ihm nachzubeten, was er hinauf in den Himmel schleudert: dass der Herr mich vom Pfad der hemmungslosen Brunst zurückholen und ins » kingdom of moral embellishment « heimholen soll, ins Königreich der moralischen Verschönerung. Denn » Andrew from Paris « sei bereit, die Niederungen des Fleisches und der Unzucht hinter sich zu lassen. Denn nur ER , nur »Dschissas«, nur ER sei mächtig genug, mich heimzuholen und aus den Armen des satanischen Eros zu erlösen.
    Vor Jahren wurde ich schon einmal in Florida getauft und ich weiß, dass am Ende des Sermons der herausforderndste Augenblick auf mich zukommt. Und er kommt auch diesmal. Und auch heute versage ich, kann auch mit heiligmäßiger Selbstbeherrschung nicht zurückhalten, was wie ein Orkan aus mir heraus will: ein Lachkrampf, ein kleiner Veitstanz der schieren Lebensfreude für ein so himmelblödes Spektakel mit »Dschissas«, dem Teufel, Terence und mir in den Hauptrollen.
    Erlöst ziehe ich ein paar Dollar für den hungrigen Gottesmann hervor, vergebe mir sogar den morgendlichen Ausrutscher der Denunziation, schultere meinen in der Ecke liegenden Rucksack und erreiche mein Ziel vergnügt und ohne weiteren Zwischenfall. New York hat mich noch nie im Stich gelassen. Auch diesmal nicht. Wiedergeboren und voller Dankbarkeit besteige ich den Bus nach Washington.

IN DEN SÜDEN
    Mit meinem Verleger hatte ich vereinbart, ein Buch über eine Reise durch die Vereinigten Staaten zu schreiben. Seinen Vorschlag, mich mittels Amtrak , der staatlichen Zuglinie, fortzubewegen, konnte ich ihm erfolgreich ausreden. Das ist ein Fortbewegungsmittel für ordentliche Bürger, Besserverdienende und notorisch verängstigte Nicht-Flieger. Ein Schlafwagen, kein Ort für den schnelleren Herzschlag. Seine Liste der besonderen Vorkommnisse ist geradezu deprimierend anständig.
    Bei den Greyhound Lines liegt der Fall anders. Ordentliche Bürger treten – ordentlich im Sinne von besessen von Ordnung – in geringerer Zahl auf. Die Schlechterverdienenden sind die Mehrheit und Angst vor dem Fliegen haben sie auch nicht. Nur nicht die passenden Kreditkarten. Die meisten der Greyhound-Kunden gehören so der heimatlosen Minderheit amerikanischer Mitbürger an, die als Versager leben müssen, da sie noch immer nicht im Besitz eines Wagens sind. Sie, die Unmotorisierten, sind die wahrhaften Fußgänger dieses Landes. Ansonsten wird hier ein Mensch zu Fuß als derjenige definiert, der auf dem Weg zu seinem Auto ist.
    An der Innenseite der Bustür klebt ein Verkehrsschild, man sieht die Zeichnung eines von einem roten Balken durchgestrichenen Revolvers. Text darunter: » No guns «. So sind sie hier, fürsorglich und eindeutig.
    Fünf vor zwölf steigt ein letzter Fahrgast zu, leicht verdreckt, ohne Gepäck, nur in der linken Hand eine stabile, scharfglänzende Sichel. Wahrscheinlich ein argloser Tagelöhner auf der Suche nach Arbeit weiter südlich. Der Fahrer entwaffnet ihn freundlich, das besorgniserregende Utensil kommt zur Sicherheitsverwahrung in den Kofferraum. Um zwölf Uhr verlässt der Americruiser – mit sechzehn weiten Fensterscheiben für den Blick hinaus – das Port Authority Bus Terminal und biegt ab in Richtung Westen, Richtung Amerika.
    Wir erfahren sogleich über Lautsprecher, dass Herumspucken, Gotteslästerung, Sich-Berauschen, ja Rauchen, auch heimlich auf der Toilette, gesetzlich verboten sind. Würde der Fahrer einen von uns dabei erwischen, würde er ihn eigenhändig und auf der Stelle hinausexpedieren. Der Ton ist lässig, nicht ätzend: » Any questions ?« Einer ruft witzig nach vorne: »Liegen die Gasmasken bereit?« – »Für was?« – »Na, für das Klo. Wenn schon das Rauchen dort verboten ist?«
    Helle Lacher, sogar dem Fahrer scheint der Witz neu. Dass der ganz hinten in den Bussen eingebaute restroom eine unriechbare Schikane darstellt, die nur mit einer stark qualmenden Zigarette zu überstehen ist, gehört zu den weiteren Unterschieden zwischen Zugfahren und In-einem-Greyhound-Sitzen. Doch das soll nicht zählen, auch das nicht. Als wir in New Jersey ankommen und uns zügig auf die Interstate nach Philadelphia einfädeln, weiß ich wieder, warum ich Autofahren hasse und mich ein starkes physisches Wohlbefinden überkommt, wenn
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