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Im Land der Freien

Im Land der Freien

Titel: Im Land der Freien
Autoren: Andreas Altmann
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Erfreulich, wie fündig Jack beim Durchstöbern der Bibel wurde, um zu beweisen, dass christliches Nutznießen und Abräumen eine lange und reiche Tradition haben. Aber das ist alles nur Vorspiel, Jack hat sein neuestes Buch mitgebracht, er will es uns zum Verkauf anbieten: » Money before Marriage «. Prall mit Leitfäden zur vorehelichen Maximierung aller denkbaren Profite. Damit finanzielle Probleme die christliche Ehe nicht bedrängen.
    In Washington habe ich nochmals Glück. Wieder Christen, wieder im Besitz von ein paar letzten Wahrheiten. Die Promise Keepers sind einmarschiert. Aber wie. Vielleicht eine Million von ihnen liegt gerade bäuchlings auf der Mall, dem drei Kilometer langen Rasenstreifen mitten durch die Hauptstadt. Über achtzig Prozent von ihnen sind weiß, nie unterernährt und den Statistiken zufolge besser ausgebildet als der Durchschnitt der Bevölkerung. Sie wollen Buße tun und in Zukunft sieben Versprechen einhalten, unter anderem: keine Ehefrauen mehr verprügeln und »sexuelle Reinheit« üben. Matt, der zweiunddreißigjährige Programmierer aus Savannah und ebenfalls bäuchlings, gibt mir ein einleuchtendes Beispiel: »Nie wieder Pornos in Hotelzimmern auf Geschäftsreisen anschauen.«
    Sensationell, denn der heutige Aufmarsch versammelt mehr Menschen, sprich Männer, als der schwarze » One Million March « 1995. Der Chef der Promise Keepers begann seinen Feldzug für ein prügelfreies Eheleben in Colorado, wo er 1990 als Held gefeiert wurde, als er eine Universitätscrew zur Meisterschaft führte. Während seiner 32 Jahre als Trainer in nächster Nähe von Footballspielern – über sechzig Prozent von ihnen sind außerstande, fehlerfrei einen einfachen Brief zu schreiben – reifte in Bill McCartney der Wunsch, das Land moralisch aufzurüsten.
    Dass seit langem Frauenorganisationen und Feministinnen – also der Menschheitsanteil, den er beschützen will – am heftigsten gegen seine »Soldaten Jesu« aufjaulen, die sich vorgenommen haben, nicht mehr mit dem Faustrecht ihre Rechte durchzusetzen, ist ein wunderbar ironischer Aspekt des Spektakels. Sie halten Bill für einen erzreaktionären Biedermann, der im Schutz uralter Sprüche den Status quo für eine weitere Ewigkeit festschreiben will: Die Ehemänner geben den Ton an, die Ehefrauen stimmen ein.
    Bill muss kämpfen. Vor allem gegen seine eigenen Infamien. Viele Jahre lang hat er sich einen Namen gemacht als rabiater Abtreibungsgegner, sein Hass auf Homosexuelle ist sprichwörtlich, seine Fernsehauftritte als strammrechter Christ sind unvergessen.
    Dennoch, nur ein einziger Höhepunkt der Hohen Schule der Buße der Dicken wäre ein Ticket nach Washington wert gewesen. Ich bin zum Hinfassen nahe, somit ganz sicher, den ergreifenden Wahnsinn der guten Tat nicht als Schimäre zu erleben. Ajit, der Gemüseverkäufer aus Brooklyn, fällt mir ein: »Amerika ist ein Monstrositätenkabinett.« Und hier sind sie wieder einmal kostenlos angetreten: rundliche Herren in Bermudashorts, » P. K. «-bestickten T-Shirts und Baseballkappen über dem rosigen Gesicht, neben muskeldicken, vollbartzugewachsenen und nackentätowierten Motorradfahrern (» Bikers for GOD «), die sich schluchzend und gemeinsam mitten in der Welthauptstadt, zwischen der Folger Shakespeare Library und dem George Washington Memorial, ins Gras werfen und nun kniend, liegend oder prosternierend ihre Todsünden – Sauflust, Ehebruch, Vielfresserei, Tobsucht, Hurerei und zügelloses Onanieren – in den blauen, geduldigen Himmel schleudern, angefeuert von Mammutlautsprechern und grellen Leinwänden, die das reuige Männervolk in noch feurigere Tiraden des Heulens und Zähneknirschens peitschen.
    Erschöpft wanke ich nach den sechs Stunden Gottesnähe zu meiner Pension. Allein Hinschauen zehrt. Kein sehnlicher Blick auf eine Frau wird mir heute noch gelingen. Lustfrei und voll reinlichster Nebengedanken liege ich bald im Bett. Ich horche, nichts, absolut nichts betört meinen Körper. Schwer beunruhigt über Bills Kriegszug gegen die Freuden des Lebens und heftig verängstigt von Bills leidenschaftlicher Fürsprache für die so schrecklichen Aussichten auf amerikanische Familienwerte, schlafe ich ein: »Herr, mach, dass ich gesund aufwache.«
    Nachts träume ich vom Reflecting Pool , dem klassisch schönen Wasserbecken, das am westlichen Ende der Mall liegt. Und im Traum sehe ich die vielen Dicken, die sich noch dicker im Wasser spiegeln. Und ich erinnere mich, dass der Pool
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