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Im Land der Freien

Im Land der Freien

Titel: Im Land der Freien
Autoren: Andreas Altmann
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Allround-Handwerker, repariert alles in den weit verstreuten, märchenstill versteckten Häusern von Big Sur. Und Joe kennt eine grausame Geschichte mit dem Titel » Zoning «.
    Das ist ein englisches Wort, das sich komplikationslos ins Deutsche übersetzen lässt: in Zonen einteilen. Das heißt konkret: Der Gemeinderat von Monterey, wo die lokalen Rädelsführer aus Politik und Wirtschaft versammelt sind, hat sich vor kurzem wieder einmal getroffen, um das noch verfügbare Land in residential areas und – am allerwichtigsten – in commercial areas aufzuteilen. Die Folge: Kommt Joes Antrag auf Revision – der Memorial Library Trust unterstützt ihn dabei – nicht durch, werden hier in Bälde die ersten cottages stehen, Ferienhäuser, später Hotels, zuletzt wird ein Mickey Mouse Park grell und schrill einen hochmotorigen paradise ride anbieten. Platz soll gemacht werden für diejenigen, die Miller mit Miller Light Beer verwechseln.
    Das Umwerfendste: Die Anwohner sind mehrheitlich dafür. Massentourismus muss her, zu lange hat das Paradies zu wenig Geld abgeworfen. » Money overrules everything «, sagt Joe. »Könnten sie beim Ausheben ihres eigenen Friedhofs Geld machen, sie würden zupacken.« Silicon Valley liegt nahe. Es dem largest cash exportation place on the planet nachzumachen, eine solche Lust scheint drängender als alles andere. Diese Zielstrebigkeit, die Schönheit der Welt in den Abgrund reißen zu wollen, das muss ein hartnäckiges, unverwüstliches Gen sein.
    Miller wusste es von Anfang an: So viele taugen nicht zur Freiheit, zur Einsicht. Die Freiheit, zwischen fünfundzwanzig Hamburger-Sorten zu wählen und sich die Haare lila färben zu dürfen, interessierte ihn nicht. Wie sein deutscher Lieblingsschriftsteller Hermann Hesse notierte er oft das Wort » Eigensinn «, Eigen-Sinn. Selbst die vielen, die ihn – jung und hungrig – einmal besaßen, besaßen ihn nur kurzzeitig, um später als umso trägere und komfortsüchtigere couch potatoes wiedergeboren zu werden.
    Der Mainstream kocht alle ein. Von ein paar hunderttausend Idioten – wie dem Handwerker Joe und dem Maler Bob Nash, einst Freund und noch immer Nachbar von Millers ehemaligem Zuhause – einmal abgesehen.
    Schon vor langer Zeit hatten Millers geistige Vorfahren – wie Emerson und Thoreau – es drucken lassen: Die überwältigende Mehrheit der Amerikaner ist friedlich. Schon in frühen Jahren hingestreckt vom Sirenengeheul des Dollars, vom Big Easy , tief beruhigt von der Aussicht, dass überall riesige Bauwerke voller Nahrungsmittel und King-size-Betten herumstehen, dass nie ein Tag droht, an dem einer fasten muss oder nicht fernsehen darf: sich zügig von der Sehnsucht nach einem billigen Leben erledigen lässt.
    »Weißt du«, notierte Miller in einem Brief an einen Freund, »wofür die Arbeiter in ihren Fabriken bezahlt werden? Für ihre Arbeit, wirst du antworten. Aber nein, für ihr Schweigen.«
    Nie verstand ich seine Bücher anders als einen Aufschrei gegen das so mühelose Verraten unserer Träume. Fühlte sie als Herzmassage, als Gegengift gegen die Verdummungsseuche der geschmeidigen Einluller, als Einstiegsdroge in andere Gedankenwelten, als Schutzimpfung gegen die lauwarme Pisse ( thanks, Caelus! ) der Lebensmüden. » Stay hungry «, das war eines der zehn Millerschen Gebote. Und ihn hungerte. Nach allem, was zwischen Gott und dem Vögeln Platz hatte. Seine ozeanische Wissensgier verlangte nach keiner Pause. Seine Anziehungskraft wuchs, je borstiger und frecher er sich von den Entwürfen eines dösigen Daseins losschrieb.
    Herzlicher Abschied von Joe. Ich finde einen Platz, wo ich beide im Auge habe, Millers schweigsames Haus und den unbeweglich hingestreckten Pazifik. Es musste so kommen, immerhin eines darf ich mit dem Meister teilen – das Talent zum pleurnicheur , zum Flenner. Dabei habe ich den Eindruck, ein harmloser Verehrer zu sein. Einmal erwähnte Miller einen Briefschreiber, der ihn bat, ihm testamentarisch seinen Zebedäus zu überlassen. Zum Anschauen und Anbeten. So fordernd, so verzweifelt war ich nie. Aber bei dieser Außentemperatur, bei diesem Licht, bei so viel Nähe zu einem Aufsässigen und den Wundern der Welt würden ganz andere einknicken. Wie kein zweiter Schriftsteller verbreitete der Amerikaner bei seinen skrupellosesten Lesern das verheerend schöne Gefühl, am Leben zu sein. Seine Bücher funktionierten als Aphrodisiakum: zum Anheben der Freude, zur zeitweiligen Aufhebung der
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