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Im Kühlfach nebenan

Titel: Im Kühlfach nebenan
Autoren: Jutta Profijt
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vor.«
     
    Martin saß in einer der Quatschnischen am Ende des Krankenhausflurs. Er trug weder Schlafanzug noch Bademantel. Seine abgemagerten
     Beine steckten in einer Trainingshose, die, der Farbe nach zu urteilen, Ende der Achtziger- oder Anfang der Neunzigerjahre
     modern gewesen sein musste. Sie war türkisblau mit lila Paspeln. Der ebenfalls deutlich geschrumpfte Oberkörper des früheren
     Pummelchens steckte in einem Strickpullover, den meine Oma als »Wöbchen« bezeichnet hätte. Kein Mensch weiß, was der Begriff
     bedeutet, aber Kleidungsstücke dieser Bezeichnung sehen so aus, wie das Wort klingt. Irgendwie warm, irgendwie flauschig und
     voll daneben. Wenigstens war die Farbe ein eher dezentes Dunkelrot, das für sich genommen ganz in Ordnung war. Mit der Hose
     zusammen aber natürlich eine psychedelische Kotzpille.
    |22| »Dieser Mann ist unsere Hoffnung«, sagte ich mit Grabesstimme.
    Marlene zuckte zusammen, fing sich aber direkt wieder. »Er sieht sehr nett aus.« So kann man es auch sagen, dachte ich, und
     musste grinsen. Ein vernichtenderes Urteil kann es für einen Mann ja wohl nicht geben. Schwiegermutterliebling ist auch so
     ein Wort, genauso wie verständnisvoll. Echte Männer sind anders. Womit klar sein dürfte, was Martin nicht ist.
    »Und die Frau an seiner Seite ist Birgit«, schickte ich betont cool hinterher. Sie sah wieder einmal zum Anknuspern aus. Der
     Frühling hatte Einzug gehalten in der richtigen Welt außerhalb des Bettpfannenbunkers, und Birgit trug einen hellblauen Leinenanzug
     mit einer weißen Bluse. Der Blusenstoff war mit einem Lochmuster bestickt, das an jeder anderen Frau voll miefig ausgesehen
     hätte, aber nicht an ihr. Im Gegenteil. Die vielen klitzekleinen Löcher ließen gerade noch einen Hauch von Spitze durchschimmern,
     die an den richtigen Stellen mit feinem Schwung sanft gerundet   …
    »Das gehört sich nicht«, unterbrach die Klosterfrau meine Betrachtungen. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Die ungefilterte
     Zensur einer verklebten Nonne in meinen ureigensten Gedanken.
    »Das geht dich gar nichts an«, blaffte ich. Marlene schwieg. Missbilligend. So machte das langsame Durchdringen des feinen
     Blusenlochmusters keinen Spaß. Seufzend zog ich mich zur Deckenlampe zurück. Martin und Birgit hielten Händchen und turtelten.
     Das hatte ich in den letzten Wochen zur Genüge gesehen. Okay, in einem Mehrbettzimmer im Krankenhaus ist eine intime Gestaltung
     der Besuchszeit nicht ganz leicht, aber ein kleines Trinkgeld hätte jeden der bisherigen |23| drei Bettnachbarn mit Sicherheit für eine Weile in der Cafeteria beschäftigt. Aber auf diese Idee kam Martin gar nicht. Andere
     Männer brauchen noch nicht einmal ein Bett, denen reicht die Besenkammer für ein näheres Kennenlernen. Martin hingegen hielt
     seit fünf Wochen Händchen. Schweißnass, wie ich ihn kenne. Und Birgit kommt immer wieder in diesen Pestpalast und legt ihre
     schönen und sicher kraftvollen Hände in seine feuchtwarmen Schlabbergriffel. Die Frau ist eine Heilige. Eine Art Mutter Teresa.
     Aber eine verdammt heiße Mutter Teresa.
     
    »Hallo Martin, darf ich dir Schwester Marlene von den Liebestollen Schwestern der Heiligen Maria von Magdala vorstellen?«,
     sagte ich betont forsch.
    »Was?«, dachte Martin erschrocken. »Moment!«, rief Marlene. Ich kicherte. Den Witz hatte ich noch nicht einmal absichtlich
     gemacht, aber die Wirkung hatte die Durchschlagskraft eines gepanzerten Hummers. Martin stammelte eine unzusammenhängende
     Antwort auf Birgits Frage, was es heute zu essen gegeben habe, und Marlene war eine wogende Welle aus politisch korrekter
     Entrüstung.
    »Mir persönlich sind deine Frechheiten relativ egal, aber dass du den Orden in den Schmutz ziehst mit deinen Bemerkungen,
     geht selbst mir zu weit«, beschwerte sich Marlene.
    »Wir hatten vereinbart, dass du mich in Ruhe lässt, wenn Birgit da ist«, ranzte Martin mich gedanklich an. »Soll ich uns ein
     Stück Kuchen und einen Kakao aus der Cafeteria holen?«, fragte Birgit. Martin mochte die Cafeteria nicht, weil es dort zu
     laut war. Und Kaffee trank er nicht, weil Koffein den Blutdruck erhöht und den Magen schädigt und noch mehr |24| solche giftigen Wirkungen hat, an denen der Rest der Menschheit schon seit Jahrhunderten unfassbarerweise nicht krepiert.
    »Das wäre ganz toll«, sagte er und Birgit ging mit wiegenden Schritten davon. Ich nahm den zweiten Anlauf zu einer diesmal
     korrektlangweiligen
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