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Im Kühlfach nebenan

Titel: Im Kühlfach nebenan
Autoren: Jutta Profijt
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Kühlfach
     vier verbracht hatte.
    »Nur so«, sagte ich. »Macht Spaß.« Tatsächlich ist es einfach supergeil, seine eigenen Verdienste bei der Lösung eines Kriminalfalls
     in angemessener Weise darzustellen. Hat nix mit Angeberei zu tun. Ist einfach so.
    Außerdem war mir eine geniale Idee gekommen: Ich würde meinen Bericht als Erfindung ausgeben. Fiktion, wie meine Lektorin
     das nennt. Ich schreibe also alles auf und schicke das Buch per E-Mail aus Martins Programm an einen Verlag, der es als Krimi auf den Markt bringt. Mit geänderten Namen, damit Martin keinen Stress
     mit seinem Chef bekommt. Mal sehen, ob das klappt. Vorsichtshalber verriet ich Martin aber noch nichts davon.
    Martin hegte noch einen Augenblick die Befürchtung, dass ich ihn irgendwie übers Ohr hauen wollte, ihm mit meinem Geschreibsel
     einen reinwürgen, ihn bei seinem Chef als völlig durchgeknallt darstellen wollte, aber das hatte ich wirklich nicht im Sinn,
     und offenbar glaubte er mir. Er ließ die Kiste an.
     
    Ich diktierte stundenlang und bemerkte erst, als es dunkel wurde, wie die Zeit verging. Schaffensrausch. Bei uns Schriftstellern
     ist das gelegentlich so. Da mich weder Hunger noch Durst quälte, wollte ich gleich weitermachen, aber dann fiel mir auf, dass
     ich seit morgens nichts mehr von Marlene gehört hatte. Also verließ ich das Rechtsmedizinische Institut und machte mich auf
     den Weg nach Mariental.
    Die Abendandacht war gerade aus, als ich ankam. Die Kapelle leerte sich, dann war ich allein. Seltsam. Wo war Marlene?
    |285| Ich wartete eine halbe Stunde. Vergeblich. Ich war zutiefst irritiert. Die Abendandacht war doch sonst Marlenes wichtigster
     Termin. Wo sollte ich jetzt nach ihr suchen? Ob sie inzwischen im Rechtsmedizinischen Institut nach mir suchte? Oder ob sie
     wieder im Dom   …
    »Hallo, Pascha.« »Mensch, Lenchen, wo hast du dich denn rumgetrieben? Du hast die Abendandacht verpasst.« »Zeit spielt für
     mich jetzt keine Rolle mehr.« Sie war irgendwie – anders. Noch vergeistigter. Gütig, sanftmütig, voller Liebe. Kein albernes
     Kichern wirbelte ihre harmonische Energie durcheinander. Irgendwie – himmlisch.
    Mir stockte der Atem. »Ja«, bestätigte sie. »Ich bin gekommen, um mich von dir zu verabschieden.« »Aber wo gehst du denn hin?«,
     fragte ich, obwohl ich natürlich so eine ganz düstere Ahnung hatte. »Ins Licht«, säuselte sie. »Warst du schon dort?« »O ja.«
    »Und? Wie ist es?« »Friedvoll.«
    »Wie hast du hingefunden?« Sie antwortete nicht. Ich war in Aufruhr. Eine Seele nach der anderen verschwand von dieser Erde,
     nur ich schimmelte hier immer noch so rum. War ich doof? Oder unerwünscht? »Weder noch«, säuselte Marlene. »Wenn du möchtest,
     nehme ich dich mit.«
    Puh, das war ja ein Angebot. Ich hätte allerdings vorher gern etwas genauer gewusst, was mich dort erwartet. Friedvoll sollte
     es sein. Ich meine, Friede ist ’ne prima Sache. Aber was bedeutet »friedvoll« in diesem Fall? Dass |286| alle Seelen den ganzen Tag auf der Wolke sitzen und Halleluja singen? Klang irgendwie langweilig.
    Außerdem würde ich Martin vermissen. Und Birgit. »Könnte ich die beiden gelegentlich besuchen?«, fragte ich.
    »Nein«, säuselte Marlene. »Ich glaube, du bist noch nicht so weit, hier loszulassen«, sagte Marlene. Verdammt, da hatte sie
     wohl recht. Mir gefiel es hier auf der Erde, auch wenn ich nicht mehr ganz so aktiv am Leben teilhaben konnte wie früher.
     Aber mit Martin palavern, Birgit beim Duschen zusehen, ins Kino gehen, mich bei Rockkonzerten direkt vor die Boxen hängen
     und mir ordentlich die Birne durchblasen lassen und, nicht zu vergessen, Kriminalfälle aufklären, die sonst ungelöst bleiben.
     Und meine steile Schriftstellerkarriere sollte doch auch bald starten.
    »Tut mir leid, Lenchen, aber ich bleibe.« »Ich weiß«, sagte Marlene. Klugscheißer.
    »Leb wohl.«
    Ich spürte einen ganz leisen Windhauch, dann war ich allein. An einem Freitagabend im Mai. In Köln. Ich seufzte. Ob ich doch
     vielleicht   …? Nein, ich rief mich zur Ordnung. Noch zwei Kapitel schreiben und dann auf die Rolle. Kino, Puff, Notaufnahme. Ich wurde
     hier schließlich noch gebraucht.

|287| Dank
    Natürlich geht auch diesmal wieder ein dicker Dank an den Rechtsmediziner meines Vertrauens, Dr.   Frank Glenewinkel. Er wies mich darauf hin, dass die elektrische Knochensäge keine Ohren absägt. Ich nehme die bewusste Missachtung
     dieser Tatsache ganz auf meine
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