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Im Kühlfach nebenan

Titel: Im Kühlfach nebenan
Autoren: Jutta Profijt
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konnte ich einen großen Bogen um alles machen, was einen Pfaffenkragen oder einen Nonnenrock trug. Hier allerdings?
     Ich versuchte einen unauffälligen Rückzug in Richtung Tür und Kinderclown.
    »Bist du gerade hier – gestorben?«, fragte die Schwester. »Nee. Ich bin schon ein paar Wochen tot.« Ich konnte spüren, wie
     sie versuchte, diese Information in ihr Weltbild einzubauen, aber es passte so wenig wie ein Frontspoiler an einen Niederflurgelenkbus.
     Konnte ich nachvollziehen. Am Anfang hatte ich die Situation auch sehr undurchsichtig gefunden.
    »Gibt es noch mehr   …« »Ich habe bisher ein paar vorbeifliegende Seelen im Augenblick des Todes getroffen.« Mir wurde schwindelig wie beim Schleudertrauma,
     als ich daran dachte, wie Martins Seele plötzlich über seinem Körper aufgestiegen war. »Aber noch keine, die hiergeblieben
     ist«, erwiderte |14| ich. »Und ich muss gestehen, dass ich nicht mehr damit gerechnet hätte, noch eine zu treffen. Schon gar keine Nonne.«
    »Warum schon gar keine Nonne?« Riffelte die wirklich nichts oder stellte sie sich so prasseldumm? Die Sache lag doch wohl
     auf der Hand. Aber gut, ich hatte es nicht wirklich eilig, also erklärte ich ihr meine Sicht der Welt.
    »Nonnen sollten doch wohl, ähnlich wie Priester oder Päpste, ein Expressticket erster Klasse in den Himmel kriegen, oder?«
    Sie schwieg.
    Mir kam ein Gedanke. »Oder hast du was angestellt? Was Schweinisches?« »Nein.«
    Wieder keine Entrüstung, keine Leidenschaft, einfach ein gütiges Nein. Himmel, Arsch und Dreiwegekat, die Betschwester hatte
     eine Leistungsbeschränkung wie ein Kindermofa.
    »Jetzt hab ich’s«, rief ich, »du hast dich umgebracht. Selbstmord ist doch verboten bei euch – äh – Kuttenträgern, oder?«
    »Ich bin in einem Feuer ums Leben gekommen«, erklärte sie freundlich und gelassen. »Selbst gelegt? Heimlich geraucht?« »Es
     brach auf einer Baustelle an unserem Kloster aus. In dem Anbau, der unter meinem Fenster liegt. Ich bemerkte den Rauch, der
     in mein offenes Fenster zog, ging hinunter und, nun ja, dann kam ich nicht mehr heraus. Die Tür war zu.«
    »Zu? Wie zu?«
    »Abgeschlossen.« »Du gehst in einen brennenden Raum und schließt die Tür hinter dir ab?«
    |15| »Jemand anders hat die Tür verriegelt.« Mir verschlug es die Sprache. Die freundliche Nonne sprach in aller Seelenruhe (!)
     davon, dass sie jemand in einen brennenden Raum eingeschlossen hatte. Und dass vielleicht sogar eine ihrer Mitschwestern   …
    »Nein«, unterbrach sie meine Gedankengänge, »der Anbau ist nur von außen zugänglich, er hat keine Verbindungstür zum Kloster.
     Es konnte also jeder Beliebige die Tür hinter mir schließen.«
    »Jeder, der zufällig nachts dort herumschleicht und einen Schlüssel hat.« »Der Schlüssel lag in einer kleinen Mauernische
     neben der Tür, weil am folgenden Tag die Heizungsanlage geliefert werden sollte. Und die Bauarbeiter kommen normalerweise,
     während wir unsere Morgenandacht halten.«
    Mir schossen eine ganze Reihe von Fragen durch den Elektronennebel, aber ich konnte unmöglich alle gleichzeitig stellen, also
     nahm ich eine heraus, die mir im Moment am naheliegendsten erschien. »Und was machst du jetzt hier im Krankenhaus?«
    »Schwester Martha bemerkte ebenfalls das Feuer. Sie versuchte, es zu löschen und wurde dabei schwer verletzt. Sie liegt hier
     auf der Intensivstation.« »Oh.«
    Meine Bestürzung war echt und ozeanisch tief. Ich hatte immer eine panische Angst davor, zu verbrennen. Das war eine regelrechte
     Phobie, die ihren Ursprung in einer Nachrichtensendung Ende der Achtzigerjahre hatte, in der Bilder einer Brandkatastrophe
     gezeigt wurden. Ich war damals drei oder vier Jahre alt und hätte längst im Bett sein sollen, aber ich konnte nicht schlafen
     und schlich mich ins Wohnzimmer zu meinen Eltern, die vor der Glotze saßen. Die Bilder der verbrannten oder brennenden Opfer
     schockierten mich so, dass ich anfing zu weinen.
    |16| »Mein armer Junge«, sagte meine Mutter und nahm mich auf den Schoß. »Wenn du nicht bald Ruhe gibst und schläfst, wirst du
     auch so enden«, sagte mein Vater. Ich schlief weder in dieser noch in den folgenden zwölf Nächten, traute mich aber nicht
     mehr, meine Eltern zu belästigen. Seitdem war mein Verhältnis zu offenem Feuer und zu meinem Vater eindeutig belastet.
    »Wird sie durchkommen?«, fragte ich. »Es sieht nicht gut aus«, entgegnete Schwester Marlene. Auf einmal klang sie nicht
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