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Im Kühlfach nebenan

Titel: Im Kühlfach nebenan
Autoren: Jutta Profijt
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Wand entlang zur vorderen Tür getastet, aber
     die war auch verschlossen. Dann bin ich ohnmächtig geworden.«
    |27| »Frag Birgit nach den verschlossenen Türen«, forderte ich Martin auf, aber noch bevor er den Mund öffnete, fragte Birgit ihn:
     »Wie kommst du überhaupt darauf? Warum interessiert dich die Sache?«
    »Die verletzte Nonne liegt hier auf der Intensivstation«, gab Martin nervös zurück. Er wird immer noch nervös, wenn er sich
     für Informationen rechtfertigen muss, die von mir kommen. Deren Herkunft er also nicht erklären kann. Auch nach Wochen hat
     er sich nicht daran gewöhnt, einfach eine gefällige Notlüge zu gebrauchen. Dabei zwingen sich im Krankenhaus Notlügen geradezu
     auf. Hier kann man jederzeit sagen, das hätte man auf dem Flur gehört, denn in Krankenhäusern wird über alles geredet, was
     man sich vorstellen kann. Zunächst mal über Krankheiten natürlich, logo. Beliebtestes Spiel ist das Cholesterin-Quartett,
     bei dem die Pestpatienten, Seuchensäcke und O P-Opfer sich gegenseitig mit ihren unterirdischen Blut- und Urinwerten auszustechen versuchen. Unbestrittener Sieger war lange Zeit
     ein zweihundertfünfzig Kilo schwerer Diabetiker mit Niereninsuffizienz, Fettleber und Lebensmittelvergiftung. Die einzige
     Seuche, die er nicht hatte, war AIDS, und da war er stolz drauf, weil AIDS nur was für Schwule und Luschen sei. Martin hatte
     versucht, ihm die statistischen Fakten näherzubringen, aber das prallte an dem Dicken ab wie Wasser an Fett (welch passender
     Vergleich, wie meine Lektorin meinte).
    Birgits Blick, denn wir befinden uns trotz meines kleinen thematischen Einschubs immer noch in dem Gespräch der beiden Turteltäubchen
     über den Brand in Marlenes Kloster, ruhte etwas länger und intensiver auf Martin, als nötig gewesen wäre, um das Apfelstückchen
     an seinem Mundwinkel zu bemerken. Birgit ist nicht doof. Ganz und gar nicht. Sie ist nämlich nicht nur scharf, sondern |28| auch scharfsinnig, obwohl sie in einer Bank arbeitet. Sie checkte ganz klar, dass in diesem Krankenhaus ungefähr siebenhundert
     Bettpfannenwärmer lagen, und für keinen einzigen hatte Martin bisher Interesse gezeigt. Warum also plötzlich für eine angekokelte
     Nonne? Aber Birgit gehört auch zu denen, die wissen, wann es besser ist, die Klappe zu halten. Sie schaute also ernst und
     nachdenklich, lächelte dann plötzlich, beugte sich vor und küsste Martin das Apfelstückchen vom Mundwinkel.
    »Lass uns nicht über diese traurige Geschichte reden, sondern lieber überlegen, wo wir nächste Woche zur Feier deiner Entlassung
     essen gehen«, schlug Birgit vor. Sie boxte Martin leicht in den Magen. »Immerhin musst du bald wieder was auf die Rippen kriegen.«
    Ich hätte das Gespräch in der Hoffnung auf weitere Körperlichkeiten wohl weiterverfolgt, wenn Marlene nicht plötzlich abgerauscht
     wäre. So war ich hin- und hergerissen, jagte dann aber meiner neuen Seelenverwandten hinterher in die Krankenhauskapelle.
    »Wer auch immer dieses Feuer gelegt hat, hat den Hinterausgang und die Eingangstür zugesperrt, als ich drin war – und vielleicht
     nachher wieder aufgesperrt, damit keiner etwas merkt«, murmelte Marlene erschüttert.
    »Und der Plan war erfolgreich«, gab ich noch etwas Sprit in den Vergaser, um ihre Betroffenheitsdrehzahl hochzujubeln. »Die
     Bullen suchen vielleicht einen Brandstifter, aber mit Sicherheit keinen Mörder. Und was sie nicht suchen, werden sie auch
     nicht finden.«
    Marlene hielt eine längere Zwiesprache mit irgendwelchen himmlischen Mächten, deren Anwesenheit mir verborgen blieb, und traf
     dann eine Entscheidung, die meinen Tag rettete: »Ich kann diese Sache nicht auf sich beruhen lassen. Immerhin besteht für
     meine Schwestern Gefahr, solange der Mörder frei herumläuft.«
    |29| »Darauf hätte ich glatt mit einer Dose Bier angestoßen, wenn es hier so etwas gäbe«, erwiderte ich. »Wir können ja stattdessen
     gemeinsam beten«, schlug Marlene vor.
    Ich zischte so schnell ab, dass ich meinte, ein paar Kerzen zusätzlich zum Flackern gebracht zu haben.

|30| zwei
    Wir verbrachten die Nacht also nicht zusammen, Marlene und ich. Ja, auch körperlose Geistseelen müssen die Nacht irgendwo
     verbringen, dabei scheidet Schlaf wegen mangelnder körperlicher Voraussetzungen aus. Wir schütten kein Schlummerhormon aus
     und haben keine Sehdeckel mehr, die wir zuklappen können. Wir sind immer wach. Ätzend. Kurz nach meinem Tod, als mein Körper
    
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