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Im Kreis der Sünder - Kriminalroman aus dem Ruhrgebiet

Titel: Im Kreis der Sünder - Kriminalroman aus dem Ruhrgebiet
Autoren: Prolibris Verlag Rolf Wagner
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Etwas Schweres lag auf mir, tat mir höllisch weh. Ich weiß nicht mehr, ob ich geschrien habe. Jedenfalls hörte ich jemanden sagen: Hör auf, Cornelius, hör auf, ich glaube er wird wach. Und eine seltsam heisere Stimme dicht an meinem Ohr erwiderte: Los, Theo, spritz ihm noch etwas. Ich hab versucht meine Augen zu öffnen, aber grelles Licht hat mich geblendet. Cornelius, hör endlich auf, das Risiko gehe ich nicht ein, hat dann ein anderer gesagt, und: Hartmut holt den Jungen schon morgen Vormittag ab.« Thomas Gabrillani sackte in sich zusammen, als hätte er einen Kraftakt vollbracht, und sank wieder auf seinen Stuhl.
    »Der Schmerz war immer noch da, auch wenn der Mann über mir längst von mir abgelassen hatte«, fuhr er stockend fort. »Eine Weile bin ich regungslos liegengeblieben. Schließlich hab ich gewagt, mich umzudrehen, habe ich mich aber schlafend gestellt. Erst als die Männer wild diskutiert haben, habe ich kurz die Augen aufgemacht und gesehen, dass das Licht von einer Art Scheinwerfer kam. Auch eine Kamera hab ich erkannt. Ein breitschultriger Hüne hat sie in der Hand gehalten. Ihn hatte ich zuvor schon einmal gesehen. Zu dem war mein Vater einmal ins Auto gestiegen. Der dritte Mann hat eine Augenmaske getragen. Zu meinem Entsetzen waren sie jedoch alle nackt. Plötzlich ist der Maskierte mit einer Spritze auf mich zugekommen. Der Einstich ist das Letzte, woran ich mich erinnern kann.«
    »Das war Liebermann wahrscheinlich«, bemerkte Pielkötter sichtlich erschüttert, »aber identifizieren können Sie ihn wohl nicht.«
    »Höchstens anhand der Stimme.«
    »Ob das nach so vielen Jahren noch möglich ist? Aber warum haben Sie das die ganze Zeit mit sich herumgetragen? Sie hätten die Männer doch anzeigen können.«
    »Ich war erst knapp zehn«, erwiderte Gabrillani. »So richtig wusste ich gar nicht, was da mit mir passiert ist.«
    »Haben Sie das denn nicht Ihrem Vater erzählt?«
    »Als der mich am nächsten Tag abgeholt hat, habe ich versucht, mit ihm darüber zu reden, aber er hat alles abgeblockt. Hat mir nicht geglaubt, so dachte ich damals. Erst heute weiß ich, dass er es einfach nicht wahrhaben wollte. Er hat es einfach verdrängt, so wie ich all die Jahre danach.« Gabrillani starrte wieder zu der gegenüberliegenden Wand.
    »Was sind Realität oder Wahrheit«, bemerkte er nach einiger Zeit in verächtlichem Ton, »wenn die Einstellung eines einzigen Menschen sie maßgeblich verändern kann?«
    »Damit meinen Sie sicher Ihren Vater?«, fragte Pielkötter mit ernster Miene.
    »Ja, ich glaube schon, dass alles ganz anders verlaufen wäre, wenn er mir damals zugehört hätte. Offensichtlich hat er doch Zweifel an der Lauterkeit seiner Freunde gehegt. Sonst wäre ihm das Gespräch auf dem Totenbett nicht so wichtig gewesen.«
    »Für Sie war das mindestens genauso einschneidend.«
    Unerwartet erwiderte Thomas Gabrillani Pielkötters Blick. »Bis dahin hatte ich die Geschehnisse lange Zeit verdrängt. Ich litt unter verschiedenen Ängsten, wusste aber nicht, warum. Vor einer Therapie habe ich mich immer gescheut, wollte mich vielleicht auch von meinen labilen Schwestern distanzieren.«
    »Nach dem Gespräch mit Ihrem Vater jedoch haben Sie die Ursache Ihrer Schwierigkeiten erkannt.«
    »Von da an war ich vor Zorn und Wut wie wahnsinnig. Diese Männer haben für ein paar Minuten Geilheit mein ganzes Dasein verpfuscht.« Thomas schien durch Pielkötter hindurchzublicken. »Es waren ja nicht die Ängste allein«, fuhr er fort. »Ich hab mei nem Vater misstraut. Ohne es konkret zu wissen, habe ich nie eine ernsthafte Beziehung zu Frauen aufbauen können. Selbst meinen Schwestern habe ich nie wirklich erlaubt, sich mir zu nähern, obwohl uns sicher mehr verbunden hat, als uns lieb sein kann.«
    Aha, dachte Pielkötter, also doch. Aber darauf ging er jetzt nicht ein. Jetzt ging es um den Mörder, nicht um dessen vielleicht ebenfalls missbrauchten Schwestern. »Auslöser war also das Gespräch am Krankenbett«, stellte Pielkötter noch einmal fest.
    »Seltsam nicht? Erst als mein Vater sein Verhalten von damals bereut hat, hat irgendeine innere Instanz auch mir gestattet, dieses schreckliche Erlebnis in einem ganz neuen Licht zu sehen.«
    »Genau da hätten Sie zur Polizei gehen müssen«, erwiderte Pielkötter, obwohl er Thomas Gabrillani in gewisser Weise verstand.
    »Zur Polizei«, stieß Gabrillani verächtlich hervor. »Wozu denn? Wahrscheinlich ist die Tat sowieso verjährt. Falls nicht,
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