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Im Krebsgang

Im Krebsgang

Titel: Im Krebsgang
Autoren: Günter Grass
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Anstalt Tischtennis zu spielen, und erfuhr, daß er mit drei anderen Jugendlichen eine Zelle teilte, »schräge Typen, aber harmlos«. Er habe, hieß es, seine eigene Ecke samt Tisch und Bücherbord. Außerdem sei Fernunterricht möglich. »Mal was Neues!« rief er. »Werde mein Abi hinter Gefängnismauern bestehen, sozusagen in Dauerklausur.« Mir gefiel es nur wenig, daß Konny versuchte witzig zu sein.
Als ich ging, löste mich seine Freundin Rosi ab, die bereits verweint aussah, als sie, wie in Trauer, ganz in Schwarz kam. Ein allgemeines Kommen und Gehen bestimmte den Besuchstag: schluchzende Mütter, verlegene Väter. Der Aufsichtsbeamte, der die Geschenke eher nachlässig kontrollierte, ließ das Foto von Wolfgang als David passieren. Vor mir ist bestimmt Mutter bei ihm gewesen, womöglich gemeinsam mit Gabi; oder haben die beiden kurz nacheinander Konny besucht?
Zeit verging. Ich fütterte nicht mehr das Wunderschaf Dolly mit holzhaltigem Papier, trat anderen Sensationen auf die Hacken. Und beiläufig ging eine meiner kurzlebigen Weibergeschichten - diesmal war es eine Fotografin, die sich auf Wolkenbildungen spezialisiert hatte - ziemlich geräuscharm zu Ende. Dann stand wieder ein Besuchstag im Kalender.
Kaum saßen wir uns gegenüber, da erzählte mir mein Sohn, er habe in der Anstaltswerkstatt einige Fotos hinter Glas gerahmt und unters Bücherbord gehängt: »Klar, auch das von David.« Außerdem waren zwei Fotos verglast worden, die zu seinem Website-Material gehört hatten und die ihm auf Wunsch Mutter geliefert haben wird. Es handelte sich um Ablichtungen, die jeweils den Kapitän 3. Klasse Alexander Marinesko zum Motiv hatten, doch, wie mein Sohn sagte, einander unähnlicher nicht hätten sein können. Er habe sich die Kopien aus dem Internet gefischt. Zwei Marinesko-Fans hätten behauptet, das jeweils wahre Bild im Frame zu haben. »Ein komischer Streit«, sagte Konny und holte die wie Familienfotos gerahmten Abbildungen unter seinem ewig haltbaren Norwegerpullover hervor.
Sachlich wurde ich belehrt: »Der mit dem runden Gesicht neben dem Sehrohr ist im Petersburger Marinemuseum ausgestellt. Und der hier, der mit kantigem Gesicht auf dem Turm seines Bootes steht, soll er wirklich sein. Jedenfalls gibt es schriftliche Belege dafür, daß dieses Foto als Original einer finnischen Nutte geschenkt worden ist, die wiederholt Marinesko bedient hat. Der Kommandant von S 13 hatte es ja mit Frauen. Interessant, was von solch einem Typ übrigbleibt...«
Mein Sohn redete noch lange über seine kleine Bildergalerie, zu der eine frühe und eine späte Ablichtung David Frankfurters gehörten; die späte wies ihn alt und rückfällig geworden als Raucher aus. Ein Bild fehlte. Schon wollte ich mir ein bißchen Hoffnung machen, da gab mir Konny, als könne er seines Vaters Gedanken lesen, zu verstehen, daß ihm die Anstaltsleitung leider untersagt habe, »eine wirklich gestochen gute Aufnahme des Blutzeugen in Uniform« als Zellenschmuck zu verwenden.
Am häufigsten hat ihn Mutter besucht, jedenfalls war sie öfter als ich da. Gabi sah sich meistens durch ihren »Gewerkschaftskram« verhindert; sie reibt sich ehrenamtlich in der Sparte »Erziehung und Wissenschaft« auf. Um Rosi nicht zu vergessen: sie kam ziemlich regelmäßig, bald nicht mehr verweint.
Im laufenden Jahr hatte ich mit dem früh und bundesweit ausbrechenden Wahlkampfgeschrei zu tun, das heißt, wie die gesamte Journaille versuchte ich, im Kaffeesatz permanenter Wählerbefragungen zu lesen; inhaltlich gab das Gezeter wenig her. Allenfalls war abzusehen, daß dieser Pfarrer Hintze mit seiner »Rote-Socken-Kampagne« die PDS fett machen, aber den Dicken, der dann auch abgewählt wurde, nicht retten könne. Ich war viel unterwegs, interviewte Bundestagsabgeordnete, mittlere Wirtschaftsgrößen, sogar einige Reps, denn den Rechtsradikalen wurden mehr als fünf Prozent vorausgesagt. In MecklenburgVorpommern waren sie besonders aktiv, wenngleich mit nur mäßigem Erfolg.
Nach Neustrelitz kam ich nicht, doch per Telefon war von Mutter zu hören, daß es ihrem »Konradchen« gutgehe. Sogar »paar Pfund« habe er zugenommen. Außerdem sei er zum Leiter eines Computerkurses für jugendliche Straftäter, wie sie sagt, »befördert« worden. »Na du waißt ja, auf dem Jebiet isser schon immer ain As jewesen...«
Also stellte ich mir meinen Sohn vor, wie er, inzwischen pausbäckig, seinen Mithäftlingen das ABC nach allerneuester Gebrauchsanweisung beibrachte,
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