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Im Krebsgang

Im Krebsgang

Titel: Im Krebsgang
Autoren: Günter Grass
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mit den roten Punkten markierte er den Rumpf dort, wo die Torpedos ihr Ziel gefunden hatten: einen Punkt auf die Backbordseite des Vorschiffes, den nächsten dorthin, wo auch ich im Schiffsinneren das Schwimmbad vermutet hätte, der dritte Punkt war für den Maschinenraum bestimmt. Konrad tat das feierlich. Er stigmatisierte den Schiffsleib, betrachtete sein Werk, war offenbar zufrieden, sagte: »War Maßarbeit« und wechselte dann abrupt das Thema.
    Mein Sohn wollte wissen, was ich, anläßlich der Bundestagswahl, gewählt hatte. Ich sagte: »Die Reps bestimmt nicht« und gab dann zu, daß mich schon seit Jahren kein Wahllokal hat locken können. »Das ist wieder mal typisch für dich, absolut keine echte Überzeugung zu haben«, sagte er, wollte aber nicht verraten, was er als Jungwähler per Briefwahl angekreuzt hatte. Ich tippte, Mutters Einfluß vermutend, auf PDS. Aber er lächelte nur und begann dann, dem Schiffsmodell kleine, offenbar selbstgefertigte Fahnen, die in einem anderen Döschen daraufgewartet hatten, an den Bug, ans Heck und an die Spitzen beider Masten zu stecken. Sogar das KdF-Emblem und die Fahne der Deutschen Arbeitsfront hatte er als Miniaturen nachgebildet; auch die mit dem Hakenkreuz fehlte nicht. Das beflaggte Schiff. Alles stimmte, nur bei ihm stimmte wieder mal nichts.
    Was tun, wenn der Sohn des Vaters verbotene, seit Jahren unter Hausarrest leidende Gedanken liest, auf einen Schlag in Besitz nimmt und sogar in die Tat umsetzt? Immer bin ich bemüht gewesen, zumindest politisch richtig zu liegen, nur nichts Falsches zu sagen, nach außen hin korrekt zu erscheinen. Selbstdisziplin nennt man das. Ob in Springers Zeitungen oder bei der »taz«, stets habe ich nach vorgegebenem Text gesungen. War sogar ziemlich überzeugt von dem, was mir von der Hand ging. Den Haß zu Schaum schlagen, zynisch die Kurve kriegen, zwei Tätigkeiten, die mir wechselweise leichtfielen. Doch bin ich nie Speerspitze gewesen, habe niemals in Leitartikeln den Kurs bestimmt. Das Thema gaben andere vor. So hielt ich Mittelmaß, rutschte nie gänzlich nach links oder rechts ab, eckte nicht an, schwamm mit dem Strom, ließ mich treiben, mußte mich über Wasser halten; naja, das mag wohl mit den Umständen meiner Geburt zu tun gehabt haben; damit ließ sich fast alles erklären.
    Dann aber machte mein Sohn ein Faß auf. War eigentlich keine Überraschung. Das mußte so kommen. Denn nach allem, was Konny ins Internet gestellt, im Chatroom gequasselt, auf seiner Homepage proklamiert hatte, waren die Schüsse, gezielt abgegeben am Südufer des Schweriner Sees, von letzter Konsequenz. Nun saß er in Jugendhaft, hatte mit Siegen beim Tischtennisspiel und als Leiter des Computerkurses Ansehen erworben, konnte auf sein bestandenes Abitur pochen, bekam sogar, was mir Mutter geflüstert hat, von der Wirtschaft bereits jetzt schon Angebote für später: die neuen Technologien! Er schien im demnächst neuen Jahrhundert Zukunft zu haben, wirkte heiter, sah wohlgenährt aus, sprach ziemlich vernünftiges Zeug, hörte aber nicht auf, die Fahne als Fähnchen hochzuhalten. Das kann nur schlimm enden, dachte ich ungenau und suchte Rat.
    Anfangs, weil ich nicht ein noch aus wußte, sogar bei Tante Jenny. Die alte Dame in ihrer Puppenstube hörte sich alles, was ich mehr oder weniger ehrlich von mir gab, mit leichtem Kopfzittern an. Bei ihr konnte man abladen. Das war sie gewohnt, vermutlich von Jugend an. Nachdem ich das meiste von der Spule hatte, bot sie mir ihr vereistes Lächeln und sagte: »Das ist das Böse, das rauswill. Meine Jugendfreundin Tulla, deine liebe Mutter, kennt dieses Problem. Oje, wie oft habe ich als Kind unter ihren Ausbrüchen leiden müssen. Und auch mein Adoptivvater - ich soll ja, was damals geheimgehalten werden mußte, von echten Zigeunern abstammen -, nunja, dieser ein wenig schrullige Studienrat, dessen Namen, Brunies, ich tragen durfte, hat Tulla von ihrer bösen Seite kennenlernen müssen. War bei ihr reiner Mutwille. Ging aber schlimm aus. Nach der Anzeige wurde Papa Brunies abgeholt... Kam nach Stutthof... Doch ist am Ende fast alles gut geworden. Du solltest mit ihr über deine Sorgen sprechen. Tulla hat an sich selbst erfahren, wie gründlich ein Mensch sich wandeln kann...«
    Also bretterte ich von Berlin weg über die A 24 und nahm den Abzweig nach Schwerin. Jadoch, ich sprach mit Mutter, soweit man mit ihr über meine stets querläufigen Gedanken sprechen konnte. Wir saßen im zehnten Stock des
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